Am 19. Sonntag nach dem Dreifaltigkeitstag

 

WER HAT DIE SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS

 

Ich will euch die Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein. Matth. 16,19

 

 

Wir hören aus diesen Worten des Heilands, daß er versprach, die Schlüssel des Himmelreiches Petrus zu geben, obwohl dieser leer, sündig und in vieler Hinsicht mangelhaft war. Wir haben auch davon gehört, wie Petrus diese Schlüssel verwandte. Er ließ Reumütige und Zweifelnde in das Himmelreich, schloß aber Unbußfertige und Scheinheilige aus, die hineindrängen wollten. Er vergab den Reumütigen und Gläubigen die Sünden. Den Scheinheiligen, die weder wirkliche Buße noch den lebendigen Glauben besaßen, sagte er: “Du hast weder Teil nach Anrecht an diesem Wort; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott. Darum tu Buße für diese deine Bosheit und bitte den Herrn, ob dir vergeben werde möchte die Tücke deines Herzens.” (Apg 8,21-22)

Die Pharisäer, die ihrer natürlichen Vernunft nachfolgten, glaubten, daß niemand anders als Gott die Sünden vergeben kann. Es sieht so aus, daß die Pharisäer unserer Zeit dies auch glauben. Sie sagen, daß niemandem die Kraft oder Macht gegeben ist, Sünden zu vergeben. Doch hat man in der Gemeinde den äußerlichen Glauben, daß die Schlüssel des Himmelreiches dem Predigtamt übergeben wurden, welches im Namen Gottes die Sündenvergebung den Abendmahlgästen und den zur Kirchenstrafe Veruteilten verkündigt.

Die Kirchenstrafe hat sich in eine scheinheilige Sitte verwandelt. Den Ehebrechern und Dieben werden die Sünden vergeben, obwohl weder Reue noch Absicht zur Buße bei ihnen bemerkbar sind. Mancher kann nicht glauben, daß der Dieb durch eine erlittene kirchliche Strafe Christ geworden sei, obwohl das Erleiden eben dies bedeutet - Christ zu werden. In den ersten christlichen Gemeinden wurde die Kirchenstrafe als eine große Gnade betrachtet, da der bereuende Sünder sie erleiden durfte, daß er also dazu für würdig befunden wurde, damit seine Sünden vergeben werden können, und man konnte ihn dann zum Mitglied der Gemeinde nehmen.

Nun wird dieselbe Angelegenheit - die in der urchristlichen Gemeinde eine große Gnade und ein gutes Werk Gottes für den Sünder war - als Schande und Strafe betrachtet. Ist uns vielleicht in unserem Glauben irgendein großer Irrtum unterlaufen, weil das, was früher eine große Ehre bedeutete, nun eine große Schande ist. Die Schlüssel des Himmelreichs, die der Heiland Petrus und den anderen Jüngern gab, waren damals große Gnadengaben. Jetzt betrachtet man sie als Schande und Strafe. Obwohl ein Übeltäter es als Schande und Strafe betrachtet, wenn das Himmelreich ihm aufgemacht wird, so schämt er sich deshalb nicht, weil ihm das Reich des Teufels durch die schändliche Tat geöffnet wird, weshalb er dazu verurteilt wird, eine Kirchenstrafe zu erleiden.

Früher dankten die Bereuenden Gott von Herzen wegen seiner großen Gnade, da sie für würdig befunden wurden, als Mitglieder der christlichen Gemeinde aufgenommen zu werden. Sie dankten Gott deshalb, weil die Christen sie für so wertvoll hielten, daß sie sie als ihre Brüder erkannten. Heute würde mancher Gott danken, wenn er dem Erleiden der Kirchenstrafe entginge. Hat der Gaukler nicht unsere Augen verdreht, da wir das Gute als Übel ansehen? Wir betrachten die Annahme durch die Kirche als Strafe, obwohl es sich um eine große Gnade Gottes handelt. Wir glauben, daß die große Ehre eine große Schande ist.

Der Feind hat die Augen der Leute auch in vielen anderen Dingen verdreht. Er hat nicht nur die Gnade Gottes zur Strafe verwandelt, sondern auch Dinge, die zur Ehre Gottes geschehen, als das Wirken des Feindes und als Gotteslästerung bezeichnen lassen. So hören wir im Evangelium des Tages: da spricht Jesus zum Gichtbrüchigen: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Daraufhin bemerken die Pharisäer: “Dieser lästert Gott.” Der Feind verdreht ihre Augen, damit sie alle Dinge umgekehrt verstehen. Ihrer Meinung nach war die Sündenvergebung Gotteslästerung und Jesus ein Samaritaner, der einen bösen Geist hatte. Die Jünger waren Apostel des Teufels und die Christen von üblen Geistern besessen.

Ein Mensch, der unter der Macht des Teufels steht, sieht alle geistlichen Dinge umgekehrt. So wird die Gottlosigkeit in den Gnadenzustand verwandelt und der natürliche Mensch hält sich für einen Christen. Die Christen betrachtet er als falsche Propheten. Pharisäer und Scheinheilige nennen es Gotteslästerung, weil die Christen die Schlüssel des Himmelreichs aus der Hand des Heilands übernahmen und durch die Gnade, die Jesus mit seinem Blut den bereuenden Sündern verdient hat, eine reumütige und zweifelnde Seele ins Himmelreich hineinlassen.

Wenn die Pharisäer selbst die Schlüssel des Himmelreichs in Besitz nehmen, so öffnen sie es den Gottlosen, den Gnadendieben und den von ihrer eigenen Sittlichkeit überzeugten Menschen. Sie schließen es aber vor den richtig Reumütigen und Leidtragenden zu. Haben sie nicht die Schlüssel des Himmelreichs gestohlen, weil sie die Christen als falsche Propheten und Scheinheilige verurteilen? Sie sind selbst falsche Propheten und Scheinheilige.

Gottlose und Pharisäer betrachten sich selbst als Christen und Kinder Gottes; und die Scheinheiligen und die Bekenner des toten Glaubens vermuten, daß sie den richtigen, aber die Christen den falschen Glauben haben. Darum haben sie sich das Recht genommen, Christen zu hassen und sie mit falschen Gründen zu verurteilen. Sie verurteilen Christen in ihrem Haß und nicht in ihrer Liebe. Dieser Haß der Menschen der Welt ist ein sicheres Zeichen dafür, daß sie die Schlüssel des Reichs der Finsternis und nicht die des Himmelreichs erhalten haben. Sie besitzen einen unverborgenen Haß und sie verurteilen Christen auf Grund ihres geistlichen Hasses, so wie die Juden Jesus und die Christen verurteilten, und sie haben keine andere Schlüssel als die des Reiches der Finsternis. Der Gaukler hat sie so blind gemacht, daß sie alle geistlichen Dinge umgekehrt verstehen.

[Wie schon gesagt,] sie glauben, daß die Schlüssel des Reiches der Finsternis die Schlüssel des Himmelreiches sind. Diese Blinden meinen, Gott einen  Dienst zu leisten, weil sie die Christen hassen, obwohl sie da dem Teufel dienen. Sie bilden sich und den anderen ein, daß die Christen falsche Propheten, Scheinheilige und Pharisäer seien und daß sie einen falschen Glauben haben. Sie öffnen sich selbst, ihren Kindern und allen, die an ihre Lehre glauben, mit den Schlüsseln des Reichs der Finsternis die unendliche Tiefe.

Wir untersuchen und fragen heute, wer die Macht hat, das Himmelreich zu öffnen - und wer nicht. Der himmlische Hausherr, der einmal das Himmelreich den Reumütigen und Betrübten durch die Versöhnung öffnete, die er mit seinem eigenen Blut vorbereitete, mag den Sinn der Gottlosen ändern und die Schlösser ihrer traurigen Herzen mit dem lebendigen Glauben und mit der Versicherung öffnen, daß sie die Schlüssel des Himmelreichs doch noch bekommen, die Er geben kann, wem Er will. Höre unsere Seufzer, Du Gott des Friedens. Vater unser, der Du bist im Himmel.

 

(1) Da stieg in ein Boot und fuhr hinüber und kam in seine Stadt. (2) Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gelähmten, der lag auf seinem Bett. Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: “Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.” (3) Und siehe, einige unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: “Dieser lästert Gott.” (4) Als aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: “Warum benkt ihr so Böses in euren Herzen? (5) Was ist denn leichter, zu sagen Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und geh umher? (6) Damit ihr aber wit, da der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden die Sünden zu vergeben”  -  sprach er zu dem Gelähmten: “Steh auf, hebe dein Bett auf und geh heim!” (7) Und er stand auf und ging heim. (8) Als das Volk das sah, fürchtete es sich und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat. Matth. 9,1-8

 

Wir hören im Evangelium des Tages, daß Jesus nach der Meinung der Schriftgelehrten Gott lästerte, als er dem Gichtbrüchigen sagte: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Wir wollen untersuchen, warum die Menschen der Welt immer Jesus und jene, die seinen Namen bekennen, der Gotteslästerung beschuldigen, wenn diese im Namen Gottes den bereuenden Sündern die Gnade Gottes verkündigen, ohne sie jedoch den Gottlosen und Unbußfertigen versprechen zu können.

Kurz gesagt: die Menschen der Welt dulden nicht, daß die Gnade Gottes nur den bereuenden Seelen und nicht ihnen versprochen wird. Die Kinder der Welt, Gottlose und Unbußfertige, wären zufrieden, wenn man die Gnade Gottes allen verspräche, ohne daß man die Bußfertigen von den Unbußfertigen trennt. Da die Gnade Gottes nur den Reumütigen versprochen wird, erbosen die gottlosen Menschen sich sehr und sagen: Sündenvergeber?”

Die Juden glaubten, daß Gott die Schlüssel des Himmelreichs niemandem überläßt. Diejenigen, die im Christentum erzogen wurden, haben darüber debattiert, ob es dem Menschen erlaubt ist, Sünden zu vergeben und ob er das Recht hat, die Sündenvergebung zu verweigern.

Der Papst sagt: “Der Heiland übergab Petrus die Schlüssel des Himmelreichs, und er war der erste Bischof von Rom. Da Petrus wegen seines Glaubens den Märtyrertod erlitt, übergab er die Schlüssel des Himmelreichs dem Bischof von Rom. Nachfolgende Bischöfe haben die Schlüssel des Himmelreichs von ihrem Vorgänger bekommen, und so sind sie ein Erbe vom ersten Bischof an bis zum heutigen Tage geworden.” So soll nun der Papst die Schlüssel des Himmelreichs besitzen, und er wagt auch die Macht sich anzueignen, daß niemand ohne seine Erlaubnis ins Himmelreich kommt. Er läßt hinein und schließt aus, wen er will.

Wir wissen, daß der Hausherr die Schlüssel nicht den Dieben übergibt. Der Papst ist ein Gnadendieb. Er hat die Schlüssel des Himmelreichs gestohlen. Ein altes Sprichwort sagt, daß die Diebe die gestohlene Ware billig verkaufen, da man sie mit wenig Mühe bekommen hat.

Die Katholiken bieten die gestohlene Gnade sowohl den Bereuenden als auch  den Unbußfertigen dar. Sie lassen Schafe und Ziegen, Lämmer und Wölfe, gemischt in die Schäferei. Im Reich des Papstes fragt man nicht nach der richtigen Reue. Der Priester ist dazu verpflichtet, jedem Menschen die Sünden zu vergeben, der zu ihm kommt und seine Sünden bekennt, auch wenn kein Zeichen der Reue sichtbar ist. Auch solche Sünden werden vergeben, die man noch nicht begangen hat, sondern erst daran denkt. Wenn jemand also denkt, einen Mord oder Diebstahl zu begehen, geht er zuerst zum Priester und fragt: “Wird’s mir vergeben, wenn ich es tue?” “Ja”, antwortert der Priester, “warum denn nicht, egal was du tust.” Siehe, dann ist die Gnade Gottes billig! Da kann man schon leben, weil die Reue niemandem Mühe macht. Niemand braucht zu zweifeln oder um Gnade zu betteln. So wird die Gnade Gottes billig und der Mensch hat ein leichtes Leben.

Geht in das Reich des Papstes, ihr, die ihr leicht in den Himmel kommen wollt. Ihr Gnadendiebe, geht dort hin und fragt den Papst: “Vergibt man uns, wenn wir saufen, fluchen, uns schlagen, Branntweinhandel treiben und die Welt lieben?” “Ja, sicher. Warum nicht?” Dann sagt der Papst dem Priester: “Laß diese Seelen in den Himmel hinein. Sie haben ja nicht soviel übertreten.”

Luther hatte aufrichtig bereut und in der Schule des Heiligen Geistes gelernt, wie wertvoll die Gnade Gottes ist. Er hatte gelernt, daß der Mensch sich selbst nicht erlösen kann, auch wenn er sein ganzes Eigentum den Armen gäbe, auch wenn er sich zerschlage, auch wenn er sich verbrennen ließe. Luther war der erste, der mit den Papisten über die Gnade Gottes und über die Sündenvergebung zu debattieren begann. Er fing tatsächlich an zu fragen, mit wessen Erlaubnis die Katholiken die Schweine, Böcke und Ziegen in die Schäferei hineinließen. Woher hatte der Papst die Erlaubnis bekommen, Unbußfertige, Gottlose und Verhärtete in das Himmelreich hineinzulassen?

Je mehr Luther die Frage untersuchte, desto mehr überzeugte er sich davon, daß der Papst ein großer Dieb war. Der Papst hatte die Schlüssel des Himmelreiches gestohlen, mit denen er das falsche Schloß und die falsche Tür öffnete, nämlich für Gottlose in die unendliche Tiefe und nicht in das Himmelreich.

Mit diesem Streit Luthers gegen die Katholiken begann das Luthertum. Wir bekennen uns jetzt durch unserem Mund zum Glauben Luthers - aber der Glaube des Papstes mag solange in unseren Herzen sein, wie wir ohne Reue in die Schäferei hineindrängen wollen. Nach dem Glauben Luthers gehört die Gnade Gottes nur den Reumütigen und den zerbrochenen Herzen. Das richtige Luthertum ist aber schon seit langem in den Herzen der Leute gestorben und wie ein Seidentuch um das Gehirn oder wie die Watte um das Herz des alten Adams geblieben.  Alle Bekenner des toten Glaubens behaupten nun, daß niemand wissen kann, wer reumütig und wer gottlos ist. Deshalb müsse der Pfarrer, dem die Schlüssel des Himmelreichs übergeben sind, sie sowohl nach rechts als auch nach links drehen. Er muß in der Beichte oder in der Absolution die Tür aufmachen und sagen: “Wenn nun dein Sündenbekenntnis ehrlich, deine Reue ernsthaft, dein Glaube wahrhaft ...” Ich meine, daß dieses nach rechts und links schauen nicht richtig ist. Reumütige Seelen fürchten, daß sie nicht hineinkommen, da mit den Schlüsseln des Himmelreichs gleichzeitig die Türen in die Finsternis und in das Licht, sowohl in die endlose Tiefe, als auch in das Himmelreich, geöffnet werden.

Bei den Leuten ist auch so ein Glaube eingewurzelt, daß die Schlüssel des Himmelreichs nur in der Hand von Amtsträgern ihren Zweck erfüllen. Wenn das Pfarramt über einen Mantel verfügt, kann es das Himmelreich öffnen oder schließen, aber ohne den Mantel fehlt ihm die Macht dazu. Somit haben die Kleider eine größere Macht als das Herz - und die Meinung einer Amtsperson hat einen größeren Wert als die Erfahrungen des Herzens. Soll man nun glauben, daß die Schlüssel des Himmelreichs aus der Hand des Pfarrers fallen, wenn er sich den Mantel auszieht? Ist es nicht glaubwürdiger, wenn der geistliche Pfarrer die Schlüssel des Himmelreiches an jeden Ort mitbringt,  während der gottlose Pfarrer sie nur während seiner Amtsstunden gebrauchen kann?

Die Lehre Luthers über die richtige Reue und Buße lautet folgendermaßen: Die Gemeinde Gottes versichert dem Reumütigen die Sündenvergebung, und die aufrichtige Reue über die Sünden erkennt man an der ehrlichen Sorge des Herzens und an der Not des Gewissens wie auch daran, daß der Mensch ehrlich seine Sünden bekennt. (Siehe auch: Augsburger Konfession, Art. 12)

Wir hören aus diesen Worten, daß nicht jede Ziege und jeder Bock in das Himmelreich kommt, sondern daß der reumütige Sünder eine aufrichtige Sorge des Herzens und die Not des Gewissens haben muß. Woher nimmt ein gottloser Mensch diese Kennzeichen der Reue? Sorge und Kummer kommen nicht aus der Luft. Ich glaube, daß der beste Rat an alle Gottlosen, die sich vor den Gewissensqualen fürchten, der ist, daß sie in das Reich des Papstes gehen und dort ein Geschenkchen in den Bettelbeutel des Papstes geben. Sie kommen ohne Sorge und Mühe ins Himmelreich hinein, wenn sie eine Münze in den Bettelbeutel der Papisten geben. Was haben die Gottlosen in der Gemeinde Luthers zu suchen?

Luther verlangte aufrichtige Reue und Gewissensnot. Er verlangte, daß die Bereuenden richtig ihre Sünden kennen müßten, und danach forderte er einen ehrlichen, lebendigen und lebendigmachenden Glauben. Worum geht es bei diesen Dingen den Gottlosen? Sie können nicht eigenhändig etwas aus ihrem Herz herausgraben oder selbst ihr Herz beugen, um ihre Sünden zu bereuen. Der Mensch kann nicht durch eigene Kraft die ehrliche Sorge des Herzens und die Gewissensnot dämpfen und bekämpfen, bevor ihm Gott die Kraft zu glauben gibt. Einer reumütigen Seele muß die Gemeinde Gottes versichern, daß Gott ihr gnädig ist. Darum sind die Schlüssel des Himmelreichs der Gemeinde Gottes gegeben, daß sie den Bereuenden die Tür des Himmels öffnet, aber sie den Gottlosen verschließt. Das ist der Glaube Luthers.

Diese Lehre taugt gar weder für die Klugen der Welt noch den Sittlichen noch den Bekennern des toten Glaubens. Wenn man einen Unterschied zwischen den Reumütigen und den Gottlosen macht, sagen die Klugen der Welt: “Gott hat niemandem die Macht gegeben, Menschen von der gemeinsamen Gnade auszuschließen.” Und sie sagen noch dazu: “Gott verlangt vom Menschen keine Sorge oder Trauer, sondern Er will nur, daß der Mensch seine Lebensführung bessert. Wenn irgendjemand hier keine Zeit hat oder seinen Lebenswandel nicht bessern will, wird er einen anderen Ausweg nach dem Tode finden. Gott ist nicht so hart, daß Er Menschen in die Hölle verdammt.”

Diese Lehre der Klugen der Welt ist für die Gottlosen der Welt und für die Knechte des Fleisches süß wie Zucker. Sie fühlen, daß sie gegen den alten Adam nicht kämpfen müssen. Sie können zu den Klugen der Welt gehen, um sie nach ihren Rat zu fragen. Auch solche können zu ihnen gehen, denen es zu mühsam ist, die Züchtigung des heiligen Geistes zu erleiden - und außerdem diejenigen, die sich schämen, in das Reich des Papstes zu gehen, um dort ihre Seelen mit Geld vor der Hölle zu schützen. Die Weisen der Welt sprechen weder von der Reue noch vom Glauben. Sie setzen nur voraus, daß man sittlich lebt, und wenn man hier seinen Lebenswandel verbessern kann, werden sie sicherlich irgendeinen anderen Ausweg aus der Hölle haben.

Ist das nicht ein guter Rat? Die Klugen der Welt haben sicherlich die Hölle besucht und gesehen, wie man dort zurechtkommt, da sie vermuten, daß man da einen Ausweg finden wird. Die Katholiken ihrerseits sagen: “Wenn du dem Papst alle Sünden bekennst, die du begangen hast, und auch solche, die du begehen wirst, so wird er dir alle Sünden vergeben.” Auch die Gottlosen sollen es für einen guten Rat halten. Im Reich des Papstes braucht man gar nicht seine Sünden zu bereuen. Man wird sie vielmehr dadurch los, indem man sie bekennt.

Doch Luther, der selbst tief bereute, verlangte eine ehrliche Reue und einen lebendigen Glauben. Da ein bereuender Mensch nicht selbst den Glauben bewirken kann, so verlangte Luther noch, daß die Gemeinde Gottes ihn der Gnade Gottes und der Sündenvergebung versicherte.

Die frommen Klugen und Schriftgelehrten der Welt zürnen zuerst, wenn die Gemeinde Gottes durch einen Pfarrer oder einen anderen Christen zu der bereuenden Seele sagt: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Sie rufen: “Du lästerst Gott. Gott hat dir nicht die Schlüssel des Himmelreichs gegeben, und du hast nicht die Macht, Sünden zu vergeben.” Auch die von ihrer eigenen Tugend überzeugten Menschen zürnen und sagen: “Gott und mein Gewissen beweisen, daß ich unschuldig bin und keine Gnade von der Gemeinde brauche.” Auch jene, die den toten Glauben im Kopf haben, zürnen und sprechen: “Gott kennt meine Reue. Niemand braucht mein Herz zu prüfen.”

Warum zürnen sie alle? Sie zürnen, weil die Gemeinde Gottes in ihnen keine Glaubensbrüder erkennen will. Richtige Christen können den von ihrer eigenen Sittlichkeit Überzeugten die Gnade nicht versprechen, da diese die Gnade weder von Gott noch von den Menschen benötigen. Die Christen können nicht jemandem die Gnade versprechen, der den toten Glauben bekennt; er hat den Glauben von sich selbst. Er kann glauben, wann er will. Dieser, der auf den toten Glauben vertraut, weiß nicht, wann er zu glauben angefangen hat, und auch nicht, wann er seine Sünden bereut hätte, obwohl er vermutet, er habe bereut. Es mag ohne Absicht passiert sein, und er hat es selbst nicht bemerkt. Irgendwann nimmt er an, daß es im Traum oder irgendwann in der Kindheit geschehen ist.

Ist Luther irr gegangen oder träumte er, als er verlangte, daß solche Kennzeichen der Reue vorausgesetzt sein müssen, die nur jene, die selbst die Reue erlebten, für nötig erachten. Er verlangt die Sorge des Herzens und die Gewissensnot. Kann es so unbemerkt passieren, daß der Mensch es selbst nicht weiß?

Wir sind davon überzeugt, daß Luther weder irre gegangen ist noch geträumt hat. Er hat vielmehr die Bibel richtig verstanden, als er die ehrliche Reue aller Menschen forderte und einen richtigen und lebendigen Glauben verlangte. Er hat die Schlüssel des Himmelreiches weder gestohlen noch geraubt, als er die Tür des Himmels den Reumütigen und Trübseligen öffnete und sie den Unbußfertigen verschloß.

Es ist klar, daß alle Klugen der Welt, die von ihrer eigenen Sittlichkeit überzeugten Menschen und die Bekenner des toten Glaubens, zürnen, wenn man sie nicht hineinläßt. Sie glauben, daß es Gotteslästerung ist, wenn man dem Reumütigen sagt: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Der Reumütige hat jedoch keine andere Zuversicht als die Gnade Gottes, die Jesus erworben hat. Wenn der Feind einmal die Reumütigen so frei ließe, daß sie in den Schoß von Jesus fliehen könnten, so dürften die Klugen der Welt in ihrer Weisheit leben, die von ihrer eigenen Sittlichkeit überzeugten Menschen dürften ihrer Sittlichkeit leben, und die Bekenner des toten Glaubens dürften in ihrem toten Glauben leben, wenn sie nur könnten.

Es steht in der Heiligen Schrift, daß der Gerechte aus dem Glauben leben wird (Röm. 1,17). Wer einen lebendigen Glauben besitzt, kann in der Zuversicht leben und sterben, daß des Menschen Sohn die Macht hat, die Sünden zu vergeben, nicht nur durch das Pfarramt, sondern durch jeden  begnadeten Menschen. Das ist eine unverrückbare Wahrheit, ganz gleich, ob die Pharisäer sie glauben oder nicht.

Ihr Gichtbrüchigen - die ihr von anderen Christen zu Jesus gebracht worden seid - habt keine Kraft zu gehen; da des Menschen Sohn an eurer Gestalt und eurem Blick sieht, daß ihr ein trübseliges und zerbrochenes Herz habt, sagt Er euch: “Deine Sünden sind dir vergeben. Du Gichtbrüchiger, hebe dein Bett, stehe auf und gehe.” Obwohl die Schriftgelehrten und Pharisäer murren und sagen, daß Er Gott lästert, dankt wenigstens einer Gott für die Macht, die Er den Menschen übergeben hat, damit die Sünden eines Gichtbrüchigen vergeben werden und er von dem Schlaganfall geheilt ist.

Du Gichtbrüchiger, der du früher nicht auf dem Weg des christlichen Lebens hast wandern können, weil du erkranktest, trage nun dein altes Bett der Selbstgerechtigkeit hinaus. Erinnere dich, daß deine Sünden gerade dann vergeben wurden, als du aus dem Mund von Jesus die herrlichen Gnadenworte hörtest: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Gehe nicht mehr sündigen, damit dir nicht noch Übleres passiert. Du Gichtbrüchiger! Da des Menschen Sohn dir gesagt hat, daß deine Sünden dir vergeben sind, so zweifle nicht mehr daran, obwohl die Pharisäer daran zweifeln. Im selben Moment, da du glaubst, bekommst du die Kraft, aufzustehen und auf dem Wege des christlichen Lebens zu wandern.

Jesus hat keinen anderen als dir, dem Gichtbrüchigen, gesagt: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Glaube also nun, daß sie dir vergeben sind!

 

Amen.