Am 19. Sonntag
nach dem Dreifaltigkeitstag
WER HAT DIE
SCHLÜSSEL DES HIMMELREICHS
Ich will euch die
Schlüssel des Himmelreichs geben: alles, was du auf Erden binden wirst, soll
auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch
im Himmel gelöst sein. Matth. 16,19
Wir hören aus
diesen Worten des Heilands, daß er versprach, die Schlüssel des Himmelreiches
Petrus zu geben, obwohl dieser leer, sündig und in vieler Hinsicht mangelhaft
war. Wir haben auch davon gehört, wie Petrus diese Schlüssel verwandte. Er ließ
Reumütige und Zweifelnde in das Himmelreich, schloß aber Unbußfertige und
Scheinheilige aus, die hineindrängen wollten. Er vergab den Reumütigen und
Gläubigen die Sünden. Den Scheinheiligen, die weder wirkliche Buße noch den
lebendigen Glauben besaßen, sagte er: “Du hast weder Teil nach Anrecht an
diesem Wort; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott. Darum tu Buße für
diese deine Bosheit und bitte den Herrn, ob dir vergeben werde möchte die Tücke
deines Herzens.” (Apg 8,21-22)
Die Pharisäer,
die ihrer natürlichen Vernunft nachfolgten, glaubten, daß niemand anders als
Gott die Sünden vergeben kann. Es sieht so aus, daß die Pharisäer unserer Zeit
dies auch glauben. Sie sagen, daß niemandem die Kraft oder Macht gegeben ist,
Sünden zu vergeben. Doch hat man in der Gemeinde den äußerlichen Glauben, daß
die Schlüssel des Himmelreiches dem Predigtamt übergeben wurden, welches im
Namen Gottes die Sündenvergebung den Abendmahlgästen und den zur Kirchenstrafe
Veruteilten verkündigt.
Die Kirchenstrafe
hat sich in eine scheinheilige Sitte verwandelt. Den Ehebrechern und Dieben
werden die Sünden vergeben, obwohl weder Reue noch Absicht zur Buße bei ihnen
bemerkbar sind. Mancher kann nicht glauben, daß der Dieb durch eine erlittene
kirchliche Strafe Christ geworden sei, obwohl das Erleiden eben dies bedeutet -
Christ zu werden. In den ersten christlichen Gemeinden wurde die Kirchenstrafe
als eine große Gnade betrachtet, da der bereuende Sünder sie erleiden durfte,
daß er also dazu für würdig befunden wurde, damit seine Sünden vergeben werden
können, und man konnte ihn dann zum Mitglied der Gemeinde nehmen.
Nun wird dieselbe
Angelegenheit - die in der urchristlichen Gemeinde eine große Gnade und ein
gutes Werk Gottes für den Sünder war - als Schande und Strafe betrachtet. Ist
uns vielleicht in unserem Glauben irgendein großer Irrtum unterlaufen, weil
das, was früher eine große Ehre bedeutete, nun eine große Schande ist. Die
Schlüssel des Himmelreichs, die der Heiland Petrus und den anderen Jüngern gab,
waren damals große Gnadengaben. Jetzt betrachtet man sie als Schande und
Strafe. Obwohl ein Übeltäter es als Schande und Strafe betrachtet, wenn das
Himmelreich ihm aufgemacht wird, so schämt er sich deshalb nicht, weil ihm das
Reich des Teufels durch die schändliche Tat geöffnet wird, weshalb er dazu
verurteilt wird, eine Kirchenstrafe zu erleiden.
Früher dankten
die Bereuenden Gott von Herzen wegen seiner großen Gnade, da sie für würdig
befunden wurden, als Mitglieder der christlichen Gemeinde aufgenommen zu
werden. Sie dankten Gott deshalb, weil die Christen sie für so wertvoll
hielten, daß sie sie als ihre Brüder erkannten. Heute würde mancher Gott
danken, wenn er dem Erleiden der Kirchenstrafe entginge. Hat der Gaukler nicht
unsere Augen verdreht, da wir das Gute als Übel ansehen? Wir betrachten die
Annahme durch die Kirche als Strafe, obwohl es sich um eine große Gnade Gottes
handelt. Wir glauben, daß die große Ehre eine große Schande ist.
Der Feind hat die
Augen der Leute auch in vielen anderen Dingen verdreht. Er hat nicht nur die
Gnade Gottes zur Strafe verwandelt, sondern auch Dinge, die zur Ehre Gottes
geschehen, als das Wirken des Feindes und als Gotteslästerung bezeichnen
lassen. So hören wir im Evangelium des Tages: da spricht Jesus zum
Gichtbrüchigen: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Daraufhin bemerken die
Pharisäer: “Dieser lästert Gott.” Der Feind verdreht ihre Augen, damit sie alle
Dinge umgekehrt verstehen. Ihrer Meinung nach war die Sündenvergebung
Gotteslästerung und Jesus ein Samaritaner, der einen bösen Geist hatte. Die
Jünger waren Apostel des Teufels und die Christen von üblen Geistern besessen.
Ein Mensch, der
unter der Macht des Teufels steht, sieht alle geistlichen Dinge umgekehrt. So
wird die Gottlosigkeit in den Gnadenzustand verwandelt und der natürliche
Mensch hält sich für einen Christen. Die Christen betrachtet er als falsche
Propheten. Pharisäer und Scheinheilige nennen es Gotteslästerung, weil die
Christen die Schlüssel des Himmelreichs aus der Hand des Heilands übernahmen
und durch die Gnade, die Jesus mit seinem Blut den bereuenden Sündern verdient
hat, eine reumütige und zweifelnde Seele ins Himmelreich hineinlassen.
Wenn die
Pharisäer selbst die Schlüssel des Himmelreichs in Besitz nehmen, so öffnen sie
es den Gottlosen, den Gnadendieben und den von ihrer eigenen Sittlichkeit
überzeugten Menschen. Sie schließen es aber vor den richtig Reumütigen und
Leidtragenden zu. Haben sie nicht die Schlüssel des Himmelreichs gestohlen,
weil sie die Christen als falsche Propheten und Scheinheilige verurteilen? Sie
sind selbst falsche Propheten und Scheinheilige.
Gottlose und
Pharisäer betrachten sich selbst als Christen und Kinder Gottes; und die
Scheinheiligen und die Bekenner des toten Glaubens vermuten, daß sie den
richtigen, aber die Christen den falschen Glauben haben. Darum haben sie sich
das Recht genommen, Christen zu hassen und sie mit falschen Gründen zu
verurteilen. Sie verurteilen Christen in ihrem Haß und nicht in ihrer Liebe.
Dieser Haß der Menschen der Welt ist ein sicheres Zeichen dafür, daß sie die
Schlüssel des Reichs der Finsternis und nicht die des Himmelreichs erhalten
haben. Sie besitzen einen unverborgenen Haß und sie verurteilen Christen auf
Grund ihres geistlichen Hasses, so wie die Juden Jesus und die Christen
verurteilten, und sie haben keine andere Schlüssel als die des Reiches der
Finsternis. Der Gaukler hat sie so blind gemacht, daß sie alle geistlichen
Dinge umgekehrt verstehen.
[Wie schon
gesagt,] sie glauben, daß die Schlüssel des Reiches der Finsternis die
Schlüssel des Himmelreiches sind. Diese Blinden meinen, Gott einen Dienst zu leisten, weil sie die Christen
hassen, obwohl sie da dem Teufel dienen. Sie bilden sich und den anderen ein,
daß die Christen falsche Propheten, Scheinheilige und Pharisäer seien und daß
sie einen falschen Glauben haben. Sie öffnen sich selbst, ihren Kindern und
allen, die an ihre Lehre glauben, mit den Schlüsseln des Reichs der Finsternis
die unendliche Tiefe.
Wir untersuchen
und fragen heute, wer die Macht hat, das Himmelreich zu öffnen - und wer nicht.
Der himmlische Hausherr, der einmal das Himmelreich den Reumütigen und
Betrübten durch die Versöhnung öffnete, die er mit seinem eigenen Blut
vorbereitete, mag den Sinn der Gottlosen ändern und die Schlösser ihrer
traurigen Herzen mit dem lebendigen Glauben und mit der Versicherung öffnen,
daß sie die Schlüssel des Himmelreichs doch noch bekommen, die Er geben kann,
wem Er will. Höre unsere Seufzer, Du Gott des Friedens. Vater unser, der Du
bist im Himmel.
(1) Da stieg in
ein Boot und fuhr hinüber und kam in seine Stadt. (2) Und siehe, da brachten
sie zu ihm einen Gelähmten, der lag auf seinem Bett. Als nun Jesus ihren
Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: “Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden
sind dir vergeben.” (3) Und siehe, einige unter den Schriftgelehrten sprachen
bei sich selbst: “Dieser lästert Gott.” (4) Als aber Jesus ihre Gedanken sah,
sprach er: “Warum benkt ihr so Böses in euren Herzen? (5) Was ist denn
leichter, zu sagen Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und
geh umher? (6) Damit ihr aber wit, da der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden
die Sünden zu vergeben” - sprach er zu dem Gelähmten: “Steh auf, hebe
dein Bett auf und geh heim!” (7) Und er stand auf und ging heim. (8) Als das
Volk das sah, fürchtete es sich und pries Gott, der solche Macht den Menschen
gegeben hat. Matth. 9,1-8
Wir hören im
Evangelium des Tages, daß Jesus nach der Meinung der Schriftgelehrten Gott
lästerte, als er dem Gichtbrüchigen sagte: “Deine Sünden sind dir vergeben.”
Wir wollen untersuchen, warum die Menschen der Welt immer Jesus und jene, die
seinen Namen bekennen, der Gotteslästerung beschuldigen, wenn diese im Namen
Gottes den bereuenden Sündern die Gnade Gottes verkündigen, ohne sie jedoch den
Gottlosen und Unbußfertigen versprechen zu können.
Kurz gesagt: die
Menschen der Welt dulden nicht, daß die Gnade Gottes nur den bereuenden Seelen
und nicht ihnen versprochen wird. Die Kinder der Welt, Gottlose und
Unbußfertige, wären zufrieden, wenn man die Gnade Gottes allen verspräche, ohne
daß man die Bußfertigen von den Unbußfertigen trennt. Da die Gnade Gottes nur
den Reumütigen versprochen wird, erbosen die gottlosen Menschen sich sehr und
sagen: Sündenvergeber?”
Die Juden
glaubten, daß Gott die Schlüssel des Himmelreichs niemandem überläßt.
Diejenigen, die im Christentum erzogen wurden, haben darüber debattiert, ob es
dem Menschen erlaubt ist, Sünden zu vergeben und ob er das Recht hat, die
Sündenvergebung zu verweigern.
Der Papst sagt:
“Der Heiland übergab Petrus die Schlüssel des Himmelreichs, und er war der
erste Bischof von Rom. Da Petrus wegen seines Glaubens den Märtyrertod erlitt,
übergab er die Schlüssel des Himmelreichs dem Bischof von Rom. Nachfolgende
Bischöfe haben die Schlüssel des Himmelreichs von ihrem Vorgänger bekommen, und
so sind sie ein Erbe vom ersten Bischof an bis zum heutigen Tage geworden.” So
soll nun der Papst die Schlüssel des Himmelreichs besitzen, und er wagt auch
die Macht sich anzueignen, daß niemand ohne seine Erlaubnis ins Himmelreich
kommt. Er läßt hinein und schließt aus, wen er will.
Wir wissen, daß
der Hausherr die Schlüssel nicht den Dieben übergibt. Der Papst ist ein
Gnadendieb. Er hat die Schlüssel des Himmelreichs gestohlen. Ein altes
Sprichwort sagt, daß die Diebe die gestohlene Ware billig verkaufen, da man sie
mit wenig Mühe bekommen hat.
Die Katholiken
bieten die gestohlene Gnade sowohl den Bereuenden als auch den Unbußfertigen dar. Sie lassen Schafe und
Ziegen, Lämmer und Wölfe, gemischt in die Schäferei. Im Reich des Papstes fragt
man nicht nach der richtigen Reue. Der Priester ist dazu verpflichtet, jedem
Menschen die Sünden zu vergeben, der zu ihm kommt und seine Sünden bekennt,
auch wenn kein Zeichen der Reue sichtbar ist. Auch solche Sünden werden vergeben,
die man noch nicht begangen hat, sondern erst daran denkt. Wenn jemand also
denkt, einen Mord oder Diebstahl zu begehen, geht er zuerst zum Priester und
fragt: “Wird’s mir vergeben, wenn ich es tue?” “Ja”, antwortert der Priester,
“warum denn nicht, egal was du tust.” Siehe, dann ist die Gnade Gottes billig!
Da kann man schon leben, weil die Reue niemandem Mühe macht. Niemand braucht zu
zweifeln oder um Gnade zu betteln. So wird die Gnade Gottes billig und der
Mensch hat ein leichtes Leben.
Geht in das Reich
des Papstes, ihr, die ihr leicht in den Himmel kommen wollt. Ihr Gnadendiebe,
geht dort hin und fragt den Papst: “Vergibt man uns, wenn wir saufen, fluchen,
uns schlagen, Branntweinhandel treiben und die Welt lieben?” “Ja, sicher. Warum
nicht?” Dann sagt der Papst dem Priester: “Laß diese Seelen in den Himmel
hinein. Sie haben ja nicht soviel übertreten.”
Luther hatte
aufrichtig bereut und in der Schule des Heiligen Geistes gelernt, wie wertvoll
die Gnade Gottes ist. Er hatte gelernt, daß der Mensch sich selbst nicht
erlösen kann, auch wenn er sein ganzes Eigentum den Armen gäbe, auch wenn er
sich zerschlage, auch wenn er sich verbrennen ließe. Luther war der erste, der
mit den Papisten über die Gnade Gottes und über die Sündenvergebung zu debattieren
begann. Er fing tatsächlich an zu fragen, mit wessen Erlaubnis die Katholiken
die Schweine, Böcke und Ziegen in die Schäferei hineinließen. Woher hatte der
Papst die Erlaubnis bekommen, Unbußfertige, Gottlose und Verhärtete in das
Himmelreich hineinzulassen?
Je mehr Luther
die Frage untersuchte, desto mehr überzeugte er sich davon, daß der Papst ein
großer Dieb war. Der Papst hatte die Schlüssel des Himmelreiches gestohlen, mit
denen er das falsche Schloß und die falsche Tür öffnete, nämlich für Gottlose
in die unendliche Tiefe und nicht in das Himmelreich.
Mit diesem Streit
Luthers gegen die Katholiken begann das Luthertum. Wir bekennen uns jetzt durch
unserem Mund zum Glauben Luthers - aber der Glaube des Papstes mag solange in
unseren Herzen sein, wie wir ohne Reue in die Schäferei hineindrängen wollen.
Nach dem Glauben Luthers gehört die Gnade Gottes nur den Reumütigen und den
zerbrochenen Herzen. Das richtige Luthertum ist aber schon seit langem in den
Herzen der Leute gestorben und wie ein Seidentuch um das Gehirn oder wie die
Watte um das Herz des alten Adams geblieben.
Alle Bekenner des toten Glaubens behaupten nun, daß niemand wissen kann,
wer reumütig und wer gottlos ist. Deshalb müsse der Pfarrer, dem die Schlüssel
des Himmelreichs übergeben sind, sie sowohl nach rechts als auch nach links
drehen. Er muß in der Beichte oder in der Absolution die Tür aufmachen und
sagen: “Wenn nun dein Sündenbekenntnis ehrlich, deine Reue ernsthaft, dein
Glaube wahrhaft ...” Ich meine, daß dieses nach rechts und links schauen nicht
richtig ist. Reumütige Seelen fürchten, daß sie nicht hineinkommen, da mit den
Schlüsseln des Himmelreichs gleichzeitig die Türen in die Finsternis und in das
Licht, sowohl in die endlose Tiefe, als auch in das Himmelreich, geöffnet werden.
Bei den Leuten
ist auch so ein Glaube eingewurzelt, daß die Schlüssel des Himmelreichs nur in
der Hand von Amtsträgern ihren Zweck erfüllen. Wenn das Pfarramt über einen
Mantel verfügt, kann es das Himmelreich öffnen oder schließen, aber ohne den
Mantel fehlt ihm die Macht dazu. Somit haben die Kleider eine größere Macht als
das Herz - und die Meinung einer Amtsperson hat einen größeren Wert als die
Erfahrungen des Herzens. Soll man nun glauben, daß die Schlüssel des
Himmelreichs aus der Hand des Pfarrers fallen, wenn er sich den Mantel
auszieht? Ist es nicht glaubwürdiger, wenn der geistliche Pfarrer die Schlüssel
des Himmelreiches an jeden Ort mitbringt,
während der gottlose Pfarrer sie nur während seiner Amtsstunden
gebrauchen kann?
Die Lehre Luthers
über die richtige Reue und Buße lautet folgendermaßen: Die Gemeinde Gottes
versichert dem Reumütigen die Sündenvergebung, und die aufrichtige Reue über
die Sünden erkennt man an der ehrlichen Sorge des Herzens und an der Not des
Gewissens wie auch daran, daß der Mensch ehrlich seine Sünden bekennt. (Siehe
auch: Augsburger Konfession, Art. 12)
Wir hören aus
diesen Worten, daß nicht jede Ziege und jeder Bock in das Himmelreich kommt,
sondern daß der reumütige Sünder eine aufrichtige Sorge des Herzens und die Not
des Gewissens haben muß. Woher nimmt ein gottloser Mensch diese Kennzeichen der
Reue? Sorge und Kummer kommen nicht aus der Luft. Ich glaube, daß der beste Rat
an alle Gottlosen, die sich vor den Gewissensqualen fürchten, der ist, daß sie
in das Reich des Papstes gehen und dort ein Geschenkchen in den Bettelbeutel
des Papstes geben. Sie kommen ohne Sorge und Mühe ins Himmelreich hinein, wenn
sie eine Münze in den Bettelbeutel der Papisten geben. Was haben die Gottlosen
in der Gemeinde Luthers zu suchen?
Luther verlangte
aufrichtige Reue und Gewissensnot. Er verlangte, daß die Bereuenden richtig
ihre Sünden kennen müßten, und danach forderte er einen ehrlichen, lebendigen
und lebendigmachenden Glauben. Worum geht es bei diesen Dingen den Gottlosen?
Sie können nicht eigenhändig etwas aus ihrem Herz herausgraben oder selbst ihr
Herz beugen, um ihre Sünden zu bereuen. Der Mensch kann nicht durch eigene
Kraft die ehrliche Sorge des Herzens und die Gewissensnot dämpfen und
bekämpfen, bevor ihm Gott die Kraft zu glauben gibt. Einer reumütigen Seele muß
die Gemeinde Gottes versichern, daß Gott ihr gnädig ist. Darum sind die
Schlüssel des Himmelreichs der Gemeinde Gottes gegeben, daß sie den Bereuenden
die Tür des Himmels öffnet, aber sie den Gottlosen verschließt. Das ist der
Glaube Luthers.
Diese Lehre taugt
gar weder für die Klugen der Welt noch den Sittlichen noch den Bekennern des
toten Glaubens. Wenn man einen Unterschied zwischen den Reumütigen und den
Gottlosen macht, sagen die Klugen der Welt: “Gott hat niemandem die Macht
gegeben, Menschen von der gemeinsamen Gnade auszuschließen.” Und sie sagen noch
dazu: “Gott verlangt vom Menschen keine Sorge oder Trauer, sondern Er will nur,
daß der Mensch seine Lebensführung bessert. Wenn irgendjemand hier keine Zeit hat
oder seinen Lebenswandel nicht bessern will, wird er einen anderen Ausweg nach
dem Tode finden. Gott ist nicht so hart, daß Er Menschen in die Hölle
verdammt.”
Diese Lehre der
Klugen der Welt ist für die Gottlosen der Welt und für die Knechte des Fleisches
süß wie Zucker. Sie fühlen, daß sie gegen den alten Adam nicht kämpfen müssen.
Sie können zu den Klugen der Welt gehen, um sie nach ihren Rat zu fragen. Auch
solche können zu ihnen gehen, denen es zu mühsam ist, die Züchtigung des
heiligen Geistes zu erleiden - und außerdem diejenigen, die sich schämen, in
das Reich des Papstes zu gehen, um dort ihre Seelen mit Geld vor der Hölle zu
schützen. Die Weisen der Welt sprechen weder von der Reue noch vom Glauben. Sie
setzen nur voraus, daß man sittlich lebt, und wenn man hier seinen Lebenswandel
verbessern kann, werden sie sicherlich irgendeinen anderen Ausweg aus der Hölle
haben.
Ist das nicht ein
guter Rat? Die Klugen der Welt haben sicherlich die Hölle besucht und gesehen,
wie man dort zurechtkommt, da sie vermuten, daß man da einen Ausweg finden
wird. Die Katholiken ihrerseits sagen: “Wenn du dem Papst alle Sünden bekennst,
die du begangen hast, und auch solche, die du begehen wirst, so wird er dir
alle Sünden vergeben.” Auch die Gottlosen sollen es für einen guten Rat halten.
Im Reich des Papstes braucht man gar nicht seine Sünden zu bereuen. Man wird
sie vielmehr dadurch los, indem man sie bekennt.
Doch Luther, der
selbst tief bereute, verlangte eine ehrliche Reue und einen lebendigen Glauben.
Da ein bereuender Mensch nicht selbst den Glauben bewirken kann, so verlangte
Luther noch, daß die Gemeinde Gottes ihn der Gnade Gottes und der
Sündenvergebung versicherte.
Die frommen
Klugen und Schriftgelehrten der Welt zürnen zuerst, wenn die Gemeinde Gottes
durch einen Pfarrer oder einen anderen Christen zu der bereuenden Seele sagt:
“Deine Sünden sind dir vergeben.” Sie rufen: “Du lästerst Gott. Gott hat dir
nicht die Schlüssel des Himmelreichs gegeben, und du hast nicht die Macht,
Sünden zu vergeben.” Auch die von ihrer eigenen Tugend überzeugten Menschen
zürnen und sagen: “Gott und mein Gewissen beweisen, daß ich unschuldig bin und
keine Gnade von der Gemeinde brauche.” Auch jene, die den toten Glauben im Kopf
haben, zürnen und sprechen: “Gott kennt meine Reue. Niemand braucht mein Herz
zu prüfen.”
Warum zürnen sie
alle? Sie zürnen, weil die Gemeinde Gottes in ihnen keine Glaubensbrüder
erkennen will. Richtige Christen können den von ihrer eigenen Sittlichkeit
Überzeugten die Gnade nicht versprechen, da diese die Gnade weder von Gott noch
von den Menschen benötigen. Die Christen können nicht jemandem die Gnade
versprechen, der den toten Glauben bekennt; er hat den Glauben von sich selbst.
Er kann glauben, wann er will. Dieser, der auf den toten Glauben vertraut, weiß
nicht, wann er zu glauben angefangen hat, und auch nicht, wann er seine Sünden
bereut hätte, obwohl er vermutet, er habe bereut. Es mag ohne Absicht passiert
sein, und er hat es selbst nicht bemerkt. Irgendwann nimmt er an, daß es im
Traum oder irgendwann in der Kindheit geschehen ist.
Ist Luther irr
gegangen oder träumte er, als er verlangte, daß solche Kennzeichen der Reue
vorausgesetzt sein müssen, die nur jene, die selbst die Reue erlebten, für
nötig erachten. Er verlangt die Sorge des Herzens und die Gewissensnot. Kann es
so unbemerkt passieren, daß der Mensch es selbst nicht weiß?
Wir sind davon
überzeugt, daß Luther weder irre gegangen ist noch geträumt hat. Er hat
vielmehr die Bibel richtig verstanden, als er die ehrliche Reue aller Menschen
forderte und einen richtigen und lebendigen Glauben verlangte. Er hat die
Schlüssel des Himmelreiches weder gestohlen noch geraubt, als er die Tür des
Himmels den Reumütigen und Trübseligen öffnete und sie den Unbußfertigen
verschloß.
Es ist klar, daß
alle Klugen der Welt, die von ihrer eigenen Sittlichkeit überzeugten Menschen
und die Bekenner des toten Glaubens, zürnen, wenn man sie nicht hineinläßt. Sie
glauben, daß es Gotteslästerung ist, wenn man dem Reumütigen sagt: “Deine
Sünden sind dir vergeben.” Der Reumütige hat jedoch keine andere Zuversicht als
die Gnade Gottes, die Jesus erworben hat. Wenn der Feind einmal die Reumütigen
so frei ließe, daß sie in den Schoß von Jesus fliehen könnten, so dürften die
Klugen der Welt in ihrer Weisheit leben, die von ihrer eigenen Sittlichkeit
überzeugten Menschen dürften ihrer Sittlichkeit leben, und die Bekenner des
toten Glaubens dürften in ihrem toten Glauben leben, wenn sie nur könnten.
Es steht in der
Heiligen Schrift, daß der Gerechte aus dem Glauben leben wird (Röm. 1,17). Wer
einen lebendigen Glauben besitzt, kann in der Zuversicht leben und sterben, daß
des Menschen Sohn die Macht hat, die Sünden zu vergeben, nicht nur durch das
Pfarramt, sondern durch jeden
begnadeten Menschen. Das ist eine unverrückbare Wahrheit, ganz gleich,
ob die Pharisäer sie glauben oder nicht.
Ihr
Gichtbrüchigen - die ihr von anderen Christen zu Jesus gebracht worden seid -
habt keine Kraft zu gehen; da des Menschen Sohn an eurer Gestalt und eurem
Blick sieht, daß ihr ein trübseliges und zerbrochenes Herz habt, sagt Er euch:
“Deine Sünden sind dir vergeben. Du Gichtbrüchiger, hebe dein Bett, stehe auf
und gehe.” Obwohl die Schriftgelehrten und Pharisäer murren und sagen, daß Er
Gott lästert, dankt wenigstens einer Gott für die Macht, die Er den Menschen
übergeben hat, damit die Sünden eines Gichtbrüchigen vergeben werden und er von
dem Schlaganfall geheilt ist.
Du
Gichtbrüchiger, der du früher nicht auf dem Weg des christlichen Lebens hast
wandern können, weil du erkranktest, trage nun dein altes Bett der
Selbstgerechtigkeit hinaus. Erinnere dich, daß deine Sünden gerade dann
vergeben wurden, als du aus dem Mund von Jesus die herrlichen Gnadenworte
hörtest: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Gehe nicht mehr sündigen, damit dir
nicht noch Übleres passiert. Du Gichtbrüchiger! Da des Menschen Sohn dir gesagt
hat, daß deine Sünden dir vergeben sind, so zweifle nicht mehr daran, obwohl
die Pharisäer daran zweifeln. Im selben Moment, da du glaubst, bekommst du die
Kraft, aufzustehen und auf dem Wege des christlichen Lebens zu wandern.
Jesus hat keinen
anderen als dir, dem Gichtbrüchigen, gesagt: “Deine Sünden sind dir vergeben.”
Glaube also nun, daß sie dir vergeben sind!
Amen.