Am
Dreifaltigkeitssonntag
Wahrlich,
wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir
gesehen haben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an. Joh. 3,11
Diese Worte
sprach der Heiland zu Nikodemus, als dieser in der Nacht zu Jesus kam, um über
geistliche Dinge zu reden. Er war aber so töricht - es mag sein, daß er sich
für klug hielt -, die neue Geburt des alten Menschen weder für möglich noch für
notwendig zu halten. Nikodemus dachte vielleicht, wie auch andere Gottlose, daß
die neue Geburt in der Taufe geschehen ist, so daß niemand, der getauft ist,
von neuem geboren werden muß, wie oft er auch den Bund der Taufe gebrochen
hätte. “Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben; ihr
aber nehmet unser Zeugnis nicht an.” Solche Menschen wie Nikodemus können das
Zeugnis weder von Gott noch von den Leuten entgegennehmen. Wir haben solche
Menschen gesehen, die sich für weise halten und glauben, sie wüßten, wo der Weg
zum Himmel geht. Und wenn ein Christ solchen Männern sagte, was er selbst von
der Neugeburt weiß, so würden sie wahrscheinlich wie Nikodemus fragen: “Wie
kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?” (Joh. 3,4)
Ein Heide findet
es unmöglich, an die Neugeburt zu glauben, denn er betrachtet die Wiedergeburt als
unnötig. Er meint, daß er in der Taufe schon einmal von neuem geboren wurde.
Außerdem hält er die Wiedergeburt für unmöglich, da er wie Nikodemus fühlt, wie
dick und groß ein alter Mensch ist. Wie kann ein groer alter Adam so klein
werden, da er im Mutterleib Platz finden kann? Darum spekuliert er darauf, daß
er schon einmal in der Taufe neugeboren worden sei, so daß er eine Wiederholung
nicht mehr brauche. [So denken jene], die an dieser Stelle nicht vobeigehen
können. Nikodemus war ja ein Lehrer in Israel und kannte die Schrift. Er konnte
also nicht dem Heiland sagen, daß die Wiedergeburt unnötig sei. In diesem Falle
wußte er aus dem Wort Gottes, daß die Wiedergeburt verlangt wird. Wir wissen
nicht, ob Nikodemus diese Angelegenheit so weit geprüft hatte, daß er aus
eigener Kenntnis die Wiedergeburt für notwendig hielt. Ein Gefühl dafür hat er
jedoch kaum gehabt, denn er baute vor allem auf seine eigene Gerechtigkeit, so
daß er diese Sache als unnötig betrachten konnte.
Es befinden sich
manche in dieser Kirchengemeinde, die die Wiedergeburt für notwendig halten.
Aber sie fühlen auch, daß der alte Mensch so groß und dick ist, so daß er
keinen Platz im Mutterleib mehr findet und daher nicht von neuem geboren werden
kann. Andere halten diese Sache für unnötig, da sie glauben, daß die
Wiedergeburt schon in der Taufe geschah, und daß es daher nicht notwendig ist,
zum zweiten Mal von neuem geboren zu werden. Die ersten, die fühlen, daß die in
der Taufe geschehene Wiedergeburt nicht ausreicht, vermuten gewöhnlich, daß sie
noch vor dem Tode erfolgt, und in diesem Glauben vergeht ihre Gnadenzeit. Wenn
der Tod kommt, fühlen sie, daß es nun unmöglich ist, selig und gerettet zu
werden, da es nicht früher geschah. Die Gnadendiebe und Diener der menschlichen
Gerechtigkeit, die sich auf die in der Taufe geschehene Wiedergeburt verlassen,
leben kühn, und wenn der Tod kommt, müssen sie sich verdammen und sagen: “Nun
ist es zu spät, es hilft nicht mehr, da es nicht früher geschah.” Da geht dann
auch die Zuversicht zu Ende, die sie durch die Gnade der Taufe hatten.
So ein Ende ist
manchen Verächtern des christlichen Lebens zu Teil geworden, und wir haben es
gesehen. Darum bekennen und bezeugen wir, was wir gesehen haben, aber ihr nehmt
unser Zeugnis nicht an. Wir sahen auch einige, die früher einmal die Gnade der
Wiedergeburt für notwendig hielten, und sie hatten damals durchaus die Absicht,
selig zu werden. Aber auf Grund ihrer Liebe zur Welt ging die Sorge der Reue zu
Ende, sie gingen in die Welt zurück und wurden böser als vorher. Wie ist ihr
Ende gewesen? Wir sahen, daß sie ein übles Ende nahmen, und darum bezeugen wir,
was wir gesehen gaben. Ihr nehmt aber unser Zeugnis nicht an. Wir sahen auch
andere, die einmal neu geboren und zum Gnadenzustand gekommen waren. Was ist aus
ihnen geworden, als sie durch ihre Unwachsamkeit von der Gnade abfielen und
sich nicht um die Auferstehung kümmerten? Sie wurden siebenmal übler. Und als
der Tod über sie kam, war die Tür der Gnade verschlossen, und der Teufel der
Selbstgerechtigkeit begann, sie so schrecklich zu verdammen, so daß nichts
anderes als Verdammnis, Urteil und Fluch für sie zu erwarten war. Alles dies
haben wir gesehen.
“Und wir reden,
was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, aber ihr nehmt unser
Zeugnis nicht an.” Wir haben solche Narren gesehen, die wie Tiere leben:
saufen, fluchen, lachen, der Wahrheit höhnen, und sich freuen, wenn sie etwas
Übles tun. Wie wird dann ihr Ende sein? Sie haben über ihre Verdammnis gelacht;
und wenn der Tod da ist, fangen sie an zu schwärmen und zu fluchen. Sie
befehlen dem Teufel, sie zu holen. Sie fluchen noch auf dem Totenbett, und die
anderen Heiden sagen: “Es war ein schönes Ableben.” Da ein gottloser Pfarrer
noch eine schöne Biographie erzählt, so müssen alle glauben, daß ihre Seele
selig wurde. Alles dies haben wir gesehen.
“Und wir reden,
was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, aber ihr nehmt unser
Zeugnis nicht an.” Und da nun diese Dinge nicht geheim, sondern offen geschehen
sind, so haben alle gesehen, wie unglücklich jene waren, die unser Zeugnis
nicht annahmen. Dies müssen wir den Gottlosen vor Augen stellen und sie an ihre
Sterblichkeit erinnern. Wir müssen ihnen ihr eigenes Bild in den Menschen
zeigen, die während dieser Jahre die Welt im Unglauben und im Zweifel verlassen
und sich selbst auf dem Totenbett verdammt haben. Und wir wissen auch, daß die
Gottlosen sich um kein Beispiel kümmern. Auch wenn sie es hören und sehen, so
glauben sie nicht, daß die Hölle heiß ist, bevor ihre Haut heiß wird.
Es gibt nur wenige
Seelen, die von der Wiedergeburt überzeugt sind, die dadurch vom unverdorbenen
Samen zum himmlischen Licht bestimmt sind, und den Geist und das Recht der
auserwählten Kinder erhalten haben, indem sie rufen: “Abba, lieber Vater!”
Diese wenigen Seelen können leicht erraten, daß es an dieser Stelle nicht
angeht, das Brot der Kinder zu nehmen, um es
den Hündchen zuzuwerfen. Wir müssen vielmehr zu den Glaubensbrüdern von
Nikodemus sprechen, so wie der Heiland zu Nikodemus sprach: “ Es sei denn, daß
jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.” (Joh.
3,3) Es ist unsere Hoffnung, daß die wenigen Seelen, die wahrlich von neuem
geboren sind und in der neuen Luft heulen warten, daß der Himmlische Vater, der
ihr richtiger Vater ist, sie bald vom kalten Fußboden der Welt in seinen Schoß
nimmt, in die reine Leinwand wickelt, an seinen gnadefließenden Brüste saugen
läßt und sie mit dem Wasser des Lebens rein wäscht. Wir müssen aber auch für
alle jene beten, die in der engen Pforte sind, damit sie so klein werden, daß
sie noch durchkommen. Höre, du Vater der heulenden Kinder das Seufzen der
Kleinen, die so klein sind, daß sie im Schoß des Vaters Platz finden! Vater
unser, der du bist im Himmel ....
(1) Es war aber
ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus einer von den Oberen der
Juden. (2) Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: “Meister, wir wissen,
du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die
du tust, es sei denn Gott mit ihm.” (3) Jesus antwortete und sprach zu ihm:
“Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren
werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.” (4) Nikodemus spricht zu ihm:
“Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in
seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?” (5) Jesus antwortete: “Wahrlich,
wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, da jemand geboren werde aus Wasser und
Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren
ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.” (7)
Wundere dich nicht, daß ich dir gesagt habe: Ihr müßt vom neuen geboren
werden.” Joh. 3,1-7)
Erste
Untersuchung: Wir wollen nun durch die Gnade Gottes und unter der Leitung des
gelesenen heiligen Evangeliums nachdenken, warum Nikodemus nicht glauben kann,
daß der alte Mensch von neuem geboren werden soll.
Erstens
betrachtete er es als unmöglich, zweitens weiß er nicht, wie es geschehen soll.
Nikodemus ist kein Narr, der Christus und dem Christentum lästert. Er ist kein
Branntweinhändler, der Säufer um sich sammelt und ihnen das Getränk der
Törichten reicht. Er ist kein Säufer, der am Samstag und noch am Sonntag zum
Branntweinhändler gehen muß, um zu beten, damit dieser gnädig noch einmal den
Zapfen rauszieht und ihm die Kraft des Geistes aus dem Faß fließen ließe.
Nikodemus ist kein Mann, der hinter den Huren herläuft. Es ist auch kein
Flucher oder Leichtsinniger und keiner, der die Eitelkeit der Welt lieb hat; er
ist sehr anständig, ehrbar und schließlich noch der Meister Israels, ein
tapferer Lehrer, der das Gesetz und Recht Gottes dem Volke auslegt, und er wird
hoch unter anderen Herren geschätzt.
Nikodemus ist
nicht über Christus erzürnt, wie die Pharisäer sind, sondern er hält Jesus für
einen geistlichen Lehrer, und daher müßte er die Lehre Christi für richtig
halten. Aber die Wiedergeburt kann er nicht als zutreffend ansehen, denn seiner
Meinung nach ist es unmöglich zu glauben, daß ein alter Mensch von neuem
geboren werden kann. Daher fragt er: “Wie kann ein Mensch von neuem geboren
werden, wenn er alt ist?” Und warum sieht er es als unmöglich an, daß ein alter
Mensch von neuem geboren werden kann? Vielleicht deshalb, weil er fühlt, wie
groß und dick der alte Mensch ist, wie hart und steif das Herz eines alten
Menschens ist, und wie arg und widerwillig der alte Mensch ist, um dieser
Forderung zuzustimmen. Wenn Nikodemus die Bosheit, Steifheit und Härte des
eigenen Herzens fühlen würde, so hätte er sicher dem geistlichen Lehrer seinen
elenden Zustand bekannt und hätte gefragt: “Was muß ich tun, daß ich das ewige
Leben ererbe?” (Lk. 10,25) Es scheint aber, als ob Nikodemus weit vom [diesem
Gefühl] entfernt gewesen ist. Er, der so sittlich und fromm war, baute
zweifellos seine Seligkeit auf der eigenen Gerechtigkeit auf. Nikodemus hatte -
im Gegensatz zum Gichtbrüchigen - doch keinen Zweifel an seiner Seligkeit. Er
kannte nicht die Sorge wie die Jünger nach dem Tode Jesu. Vielmehr muß man
vermuten, daß er sein Christentum Jesus zeigen wollte, den er für einen
geistlichen Lehrer hielt. Und trotzdem hält er dessen Rede über die
Wiedergeburt für sonderbar, als Jesus mit ihm so redete, der doch schon während
der Beschneidung von neuem geboren war. So etwas hätte irgendein Heide reden
können, der weder beschnitten noch getauft wurde. Nikodemus besaß aber den
Glauben, daß ein schon in der Taufe von neuem geborener Mensch ein guter Christ
ist, der es daher nicht mehr nötig habe, von neuem geboren zu werden.
Auch die
Glaubensgenossen von Nikodemus haben den Glauben, daß ein getaufter Christ
schon Christ ist, und daß es daher für ihn nicht mehr notwendig ist, zum
zweiten Mal von neuem geboren zu werden. Auch wenn hier zehnjährige Kinder
wissen, daß die in der Taufe geschehene Wiedergeburt den Erwachsenen nicht mehr
hilft, trotzdem berufen die Gnadendiebe sich darauf, daß die Wiedergeburt
damals geschehen sei. In diesem Fall braucht ein getaufter Heide nicht mehr als
daran zu glauben, daß er von neuem geboren ist, um den alten Bund der Taufe zu
erneuern. Aber Jesus betrachtete Nikodemus nicht als einen Wiedergeborenen, da
er auch von ihm die Wiedergeburt verlangte. Er sagt: “Du mußt von neuem geboren
werden”. Nikodemus meinte, daß er in der Taufe von neuem geboren sei, aber
Jesus hielt ihn nicht für einen Wiedergeborenen. Er verlangte vielmehr, daß er
sich der Wiedergeburt unterziehe. Siehe, dieser tote Glaube ist nun die einzige
Zuversicht der Gnadendiebe, weil der Teufel sie dazu bringt, die Wiedergeburt
von der Taufe herzuleiten, weshalb sie meinen, sie brauchten nicht von neuem
geboren zu werden. Siehe, so betrügt der Teufel die Gnadendiebe, wenn ein
Christ sie zur Wiedergeburt führt. Und ein Christ weiß sicher, daß, wenn er
auch zehnmal vorher von neuem geboren war; es hilft ihm nicht bis morgen, wenn
er den Bund bricht und aus der Gnade fällt. Er muß von neuem geboren werden. Er
muß ein Kind werden, sonst ist alle vorherige Wiedergeburt vergeblich.
Zweite
Untersuchung: Wie hätte Nikodemus verstehen können, was die neue Geburt
bedeutet? Vielleicht dachte er - wie mancher andere Gnadendieb -, daß er schon
in der Taufe von neuem geboren sei. Woher konnte er wissen, was die neue Geburt
bedeutet? Wenn Nikodemus im 66. Kapitel des Buches Jesaja von der Qual der
Wiedergeburt gelesen hatte, so mag er gedacht haben, daß hier an die Qual der
Beschneidung am Fleisch gedacht wurde. Aber die geistliche Qual im Herzen -
wenn das Herz beschnitten wird - mag für Nikodemus unbekannt gewesen sein. Da
Nikodemus nicht selbst erfuhr, was ein gebrochenes Herz bedeutet, woher konnte
er wissen, was die Propheten darüber sagten. Wie konnte Nikodemus verstehen,
woran David sich in seinen Bußliedern voller Sorge und Qual erinnert, als er
meinte, nicht wahrhaftig bereuen brauchen zu müssen.
Wenn man nun den
Gnadendieben solche Bibelstellen zeigt, wo man die Schmerzen der Wiedergeburt
beschreibt, wie z.B. die Worte des Heilands: “Eine Frau wenn sie gebiert, so
hat sie Schmerzen ...” (Joh. 16,21), wie können die Gnadendiebe und die Diener
der Selbstgerechtigkeit diese Worte in derselben Weise wie die Jünger Jesu
verstehen, die es selbst erfahren haben? Und wenn man in der Schrift von der
Freude und Wonne spricht, die durch den
Glauben in den Herzen der Gläubigen brennt, was können jene, die nicht von
neuem geboren wurden, davon verstehen, wenn sie es selbst nicht erfahren haben?
Sie tappen mit ihrem Verstand und mit ihrem toten Glauben umher, aber es
mangelt ihnen am Wesentlichen. Nikodemus hat nie diese Bibelstellen verstanden,
obwohl sie alle die Wiedergeburt berühren. Und wenn Nikodemus durch die Vernunft
nicht verstand, was die Wiedergeburt bedeutet, wie sollte er dann glauben, daß
die Wiedergeburt möglich und nötig sei?
Jeder, der fühlt,
daß die Wiedergeburt notwendig ist, hat sich schon verurteilt und verdammt
gefühlt. Es sind manche in dieser Gemeinde, die sich verurteilt und verdammt
gefühlt haben. Mancher hat unter diesem Urteil und unter dieser Verdammung sich
selbst verdammt; Mancher hat unter diesem Urteil und unter dieser Verdammung
gefühlt, daß es unmöglich ist, in einem solchen Zustand selig zu werden. Dann
sind sie in die Welt zurückgekehrt. Sie vermochten es nicht, am engen Tor zu
klopfen; sie haben es nicht für möglich gehalten, daß der Mensch von neuem
geboren werden kann, wenn er alt ist; daß er klein und schlank werden kann,
damit er durch das enge Tor hineingehen könnte. Als sie vom engen Tor in die
Welt zurückkehrten, begannen sie, mit einem schlechten Gewissen den Christen zu
widerstehen und Rührungen zu verhindern. Zuletzt fingen sie an, Gnadenzeichen
in der Flasche, ja, sogar in noch übleren Stellen zu suchen.
Bis zum Tod des
Heilands hielt Nikodemus seine Lehre für richtig. Als er aber sah, wie diese
Lehre unter den Christen wirkte, als diese anfingen, in neuen Sprachen zu
reden, da gingen das Christentum von Nikodemus zu Ende; man hörte nichts mehr
von diesem Mann. Gamaliel, der berühmte und weise Mann, in dessen Schule Paulus
in der Weisheit der Pharisäer unterrichtet wurde, derselbe Gamaliel trieb es so
ausgiebig mit der Vernunft, daß er den anderen Herren gebot, die Christen solange
nicht zu verfolgen, bis sie erfahren hatten, ob [diese Lehre] von Gott oder von
den Menschen herstammt. Obwohl Gamaliel ein großer Bibelausleger war, war er
trotzdem so blind, daß er nicht dem Gotteswort gemäß prüfte oder fühlte, ob der
christliche Glaube von Gott oder von den Menschen herstammte. Er fand es
ebenfalls unrecht, die Christen zu verfolgen, bevor man sieht, welche Folgen
ihr Wirken hat. Einige Heiden haben am Anfang dieser Erweckung gepredigt: “Wir
werden mal sehen, wie lange es dauert.” Wo war Nikodemus, als die anderen
Ratsherren begannen, Christus zu verfolgen? Man erwähnt nirgendwo, daß er die
Christen verteidigt oder vor dem Rat für sie gesprochen hätte. Er hat sich auch
nicht wenigstens so verhalten wie Gamaliel, der vor dem Hohen Rat sagte: “Und
nun sage ich euch: laßt ab von diesen Menschen und laßt sie gehen! Ist dies
Vorhaben oder dies Werk von Menschen, so wird es untergehen; ist es aber von
Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten.” (Apg. 5,38-39)
Hört nun, alle
Glaubensgenossen von Nikodemus! Ihr habt gesehen, was Nikodemus daran zu
glauben hinderte, die Wiedergeburt als notwendig oder möglich zu betrachten.
Seine eigene Heiligkeit und die Selbstgerechtigkeit machten ihn ungläubig in
dieser Sache. Er dachte, er sei von neuem in der Taufe, das heißt in der
Beschneidung, geboren. Und mancher vertraut immer noch der Wiedergeburt, die in
der Taufe geschehen ist, und so betrügen sie sich selbst. Die Glaubensgenossen
von Nikodemus sind weder Hurer noch Diebe, weder Säufer noch Flucher. Sie sind
vielmehr tugendhaft und fromm - also solche Leute, die von der Welt gelobt und
gepriesen werden.
Wenn es dem
Menschen möglich wäre, ohne die Wiedergeburt ins Himmelreich zu kommen, so
würde Nikodemus der Erste dort sein. Und alle, die am Rockschoß von Nikodemus
hängen, könnten auch hoffen, selig zu werden, wenn sie nur versuchten, ebenso
tugendhaft wie er zu leben. Nikodemus hat nämlich so tugendhaft gelebt, wie es keinem Christen möglich ist. Nikodemus
ist, wie auch Josef von Arimathäa, ein heimlicher Jünger Jesu gewesen. Er hat
geglaubt, daß die Lehre Christi richtig ist. Er hat keinen Haß in seinem Herzen
auf Jesus gehabt wie die anderen Pharisäer. Er hat sogar Jesus vor den Herren
der Welt verteidigt. Als er aber deshalb von den Feinden Jesus verspottet
wurde, verstummte er. Nikodemus konnte nicht Jesu wegen ehrlos werden und
anfangen, das Kreuz zu tragen. Seine Ehre war so groß, daß er nicht am Tage zu
Jesus kommen wollte. Wenn er am Tage erschienen wäre, so hätten andere Herren
der Welt ihn spottend den Freund des Volksaufwieglers und den Jünger des
falschen Propheten genannt. Weil er aber in der Nacht kam, konnte er seine Ehre
bewahren. Alle Glaubensgenossen von Nikodemus kommen zu Jesus in der Nacht. Sie
wollen heimlich in das Himmelreich kommen wie die Frau, [die heimlich in der
Volksmenge zu Christus kam]. Christus ließ sie aber nicht heimlich mit der
gestohlenen Gnade weggehen. Sie mußte vielmehr öffentlich alle ihre Taten
bekennen. Alle schändlichen Sachen mußten entblößt, und alle ihre Verluste
mußten ans Licht gebracht werden.
Die Ehre der Welt
war ein Hindernis, welches Nikodemus nicht zum christlichen Glauben kommen
ließ. Ein zweites großes Hindernis war die Selbstgerechtigkeit, die die
Wiedergeburt unmöglich machte. Nun seht ihr, alle Glaubensgenossen von
Nikodemus, wo ihr hängen geblieben seid und mit welcher Schnur der Teufel euch
festhält. Die Teufel der Tugend, der Ehre und der Selbstgerechtigkeit halten
euch davon ab, in das Himmelreich zu kommen. Die trüben Jünger Jesu, die hinter
den verschlossenen Türen weinen und heulen, fühlen eine große Freude, als der
Gekreuzigte vor ihren Augen erscheint. Nikodemus hat aber nie Christus nach
seinem Auferstehen gesehen.
Die Jünger Jesu
wurden von neuem geboren, als die Kraft des Heiligen Geistes über sie kam, und
sie fingen an, in anderen Sprachen zu sprechen und mächtige Werke Gottes zu
verkündigen. Da ging die Ehre der Welt zu Ende. Da hörten sie auf, ihr Leben zu
lieben, und da begann der Haufen des Teufels sie zu verspotten. Da erhielten sie
auch den Vorgeschmack der Freude und Wonne, die höher als alle Vernunft ist.
Und die wenigen Seelen, die aus Sorge und Verzweiflung nicht glauben können,
daß Jesus noch lebt, sollten auch zu diesem seligen Zustand streben. Und du,
ungläubiger Thomas! Lege nun deine Finger in die Nägelmale, wenn du es wagst.
Und du, trübe Maria Magdalena, sitze nun am Grabe und weine, da dein Heiland
gestorben ist. Sitze am Grabe und heule so lange, bis du den gekreuzigten und
dorngekrönten König lebendig vor dir stehen siehtst, damit du dich freuen und
seinen Brüdern verkündigen kannst, daß Jesus lebt, und daß sie ihn so sehen
können wie er ist, vom Angesicht zu Angesicht.
Amen.