Visitationspredigt
im Jahre 1849
Um so fester
haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, da ihr darauf achtet
als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche
und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. 2. Petr. 1,19
Wir wissen, daß
ein Christ aus eigener Erfahrung fühlen soll, daß er nicht ohne Gott oder das
Wort Gottes auskommt, egal, ob er im erweckten oder begnadeten Zustand ist;
denn der Christ trägt das Wort Gottes überall mit sich, wo er auch wandert: zu Hause,
im Walde, auf dem Fjäll, in der Kerkerhaft, in der Todesnot und in der letzen
Stunde seines Lebens. Aber er kann nicht alles auf einmal tragen, so wie schon
der Heiland den Jüngern sagt: “Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt
es jetzt nicht ertragen.” (Joh. 16,12) So muß auch der Christ, wenn er nicht
alles auf einmal tragen kann, gemäß dem Rat von Petrus auf das Wort Gottes
achten, wie auf ein Licht, daß in einem finsteren Zimmer brennt, bis daß der
Tag einbricht. Wer aber schlechte Augen hat, kann nicht lesen, bevor er ganz
nahe ans Licht geht. Das Wort Gottes ist zwar klar - es scheint wie ein Licht
in einem finsteren Zimmer -, aber der natürliche Mensch hat so schlechte Augen,
daß er nicht die Buchstaben sieht, auch wenn er das Buch ganz nahe an der Nase
hat. Wie kann er die Schrift sehen, wenn er alles verkehrt liest?
Das Wort Gottes
summt über seinem Kopf, durch ein Ohr geht es hinein und das andere geht es
heraus, es kommt aber nie in die Nähe des Herzens. Das Wort Gottes schenkt ihm einen
so süßen Schlummer, daß er einschläft. Das Mittel, wodurch er eigentlich
geweckt werden sollte, wird also zum Schlafgetränk. Wenn man sonst nicht
einschlafen kann, das Wort Gottes aber hörbar ist, so schläft der natürliche
Mensch trotzdem bald darauf ein. Der Teufel verdreht ihm zuerst die Augen, so
daß der natürliche Mensch nichts anderes als bunte Dinge vom Gotteswort sieht.
Dann verdreht er ihm noch die Ohren, so daß der natürliche Mensch nichts
anderes als Bellen hört, wenn das Gotteswort richtig gepredigt wird. Wenn aber
das Gotteswort falsch verkündigt wird, schläft der natürliche Mensch so süß
ein, als ob man ein Schlafgetränk durch seine beiden Ohren in den Kopf
hineingegossen hätte. Jemand anders, der Ohrenschmerzen hat, kann nicht dulden,
daß das Gotteswort richtig gepredigt wird. Er geht vielmehr aus der Kirche
hinaus, damit er nicht etwas zu hören braucht, was dem alten Adam wehtut.
Die Juden
verstopften sich die Ohren und knirschten mit den Zähnen, als Stephanus sprach:
“Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes
stehen.” Sie hielten sich die Ohren zu, damit sie nicht solche Lästerungen zu
hören brauchten. (Siehe Apg. 7) Der natürliche Mensch zürnt sehr, wenn seinem
Gott gelästert wird, aber die Mischungen des Teufels sieht er als süß an. Wenn
das Gotteswort so verkündigt wird, daß man einschlafen kann, sagt der
natürliche Mensch: “Siehe, es war das richtige Gotteswort.” Wenn aber das
Gotteswort richtig gepredigt wird, so daß irgendein Mensch erweckt wird, sagt der
natürliche Mensch: “Es ist nur Gebell.” Wenn dann durch das Gebell eine Seele
erweckt wird, denkt er zuerst: “Warum bellt der Hund? Kommen da Diebe?” Wir
wissen, daß der Gnadendieb viel gestohlene Gnade hat, die er nicht verlieren
will. Wenn der Hund bellt, fürchtet er, daß der Dieb den Dieb bestiehlt. Erst
dann aber hat der Gnadendieb es eilig, wenn ein unbekannter Gast hereinkommt.
Denn der bellende Hund war ein Hund des Gewissens, also des Todes. Dann steht
dieser halberweckte Menschen von seinem Bett auf, wenn er im Halbschlaf den
Hund bellen hört. Er ist noch nicht ganz wach, sondern schwankt im Halbschlaf
und weckt auch andere Leute auf, die im Zimmer sind, und ruft: “Wacht auf und
hört zu, warum bellt der Hund? Sind vielleicht Diebe im Laden?” Nun hört der
Halberweckte, daß der Gast hereinkommt. Der Gast sagt nicht “Guten Abend”, denn
er schweigt völlig, (er, der Narren zu lehren pflegt). Er ist ein geistlicher
Beamter, der kommt, um den Laden der Diebe zu untersuchen. Der schweigende Gast
macht Feuer, zündet die Kerze an und stellt sie auf den Tisch. Er holt aus
seiner Tasche ein Buch hervor, worin sich ein Konto, also eine Rechnung
befindet, und befiehlt dem Halberweckten, es zu lesen. Jetzt reibt er sich die
Augen und beginnt zu buchstabieren: “Du bist 10.000 Zentner (vgl. Matth.18,24)
schuldig.” Dann sagt der Halberweckte, der nun erst anfängt, aus seinem Schlaf
aufzuwachen, da er den schweigenden Gast genauer betrachtet und an den er sich
nun erinnert: “Ich habe doch Waren im Laden. Hab Geduld mit mir; ich dir alles
bezahlen.” Er will mit seiner eigenen Besserung die Schuld der Sünde tilgen,
aber als er sie zu bezahlen beabsichtigt, ist alles weg. Er hatte kein Eigentum
bei sich, aber er dachte, daß die Gerechtigkeit Christi ihm gehörte, obwohl er
gottlos war. Nun zeigt der schweigende Gast ihm eine Stelle in der Schrift, die
lautet: “Der Glaube ohne Werke ist nutzlos.” (Jak 2,20)
All die Gnade,
die der Gottlose sich aneignete, ist gestohlen. Der Hausherr hat deinen Laden
besichtigt und das Seinige zurückgenommen. Darum hat der Hund gebellt. Der Hund
gehörte dem Mann, der bestohlen worden war. Der Hund erkannte am Geruch, daß
sich hier die gestohlenen Sachen befanden. Deshalb fing er an zu bellen. Aber
der eigene Hund des Gnadendiebes lag unterm Bett und war ganz still. Als nun
der schweigende Gast hereinkam, Feuer machte, die Kerze anzündete und dem
Gnadendieb seine Rechnung buchstabieren ließ, da fing dieser zu beben an. Seine
Angst steigerte sich noch, als er erfuhr, daß alle Tugend und die gestohlene
Gnade ihm weggenommen wurde. Er fühlte sich ganz leer. Er war so arm, daß er
nichts mehr hatte. Nun überkam ihm große Betrübnis. Er begann zu weinen und zu
seufzen und rief dabei aus: “Weh mir, ich Armseliger! Wie soll ich in der
Ewigkeit leben, weil mir alles weggenommen wurde?” Er bat den schweigenden
Fremden: “Nimm nicht alles von mir, was ich habe! Ich werde ganz leer. Wie soll
ich in der Ewigkeit leben, wenn mir alle Tugend und Gnade weggenommen wird?”
Aber der geistliche Beamte ist so gnadenlos, daß er dem Gnadendieb den Mantel
und alle Kleider der Selbstgerechtigkeit auszieht und ihn dann zum Richter
führen will, wenn er nicht seine ganze Schuld bis zum letzen Groschen bezahlt.
Der Gnadendieb gerät in eine noch größere Not, und er schämt sich seines
Elends. Aber dann fällt ihm ein, daß der Herr, den er bestohlen hatte, gnädig
gegenüber solchen Dieben ist, die mit einem demütigen und bereuenden Herzen um
seine Gnade betteln. Da der geistliche Beamte so hart und unbarmherzig war und
die Sache nicht ohne Gericht verfallen lassen wollte, da machte der elende
verlorene Sohn sich auf und kam zu seinem Vater: “Vater, ich habe gesündigt
gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein
Sohn heiße.” (Luk. 15,21) Hierauf vergab der Herr dem Diener die Schuld und
machte ihm ein großes Geschenk, das mehr wert war als all die Gegenstände, die
er gestohlen hatte.
Aber das Licht
blieb brennen, und dieses Licht ist das Wort Gottes. Es brennt den Christen die
ganze Nacht, bis der Tag anbricht und der Morgenstern in ihren Herzen
aufleuchtet. David sagt hierzu: “Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die
Wächter auf den Morgen.” (Ps 130,6) So wartet auch ein erweckter Mensch darauf,
daß dieser ersehnte Tag anbricht. Er sitzt in der Einsamkeit neben dem Licht
und seufzt. Er schaut oft nach Osten, da er weiß, daß von dort die
Morgendämmerung hereinkommt; und wenn er kein Licht sieht, setzt er sich wieder
hin und seufzt: “Oh du barmherziger Herr Jesus, wie lang wird diese Nacht
dauern! Wann sehen meine Augen das Licht, das jetzt jenen scheint, die auf der
anderen Seite der Erde sind? Oh du barmherziger Herr Jesus, laß die Sonne
deiner Gnade leuchten!”
Sei geduldig, du
betrübte Seele, und warte noch ein wenig, bis die Welt sich umdreht. Die Sonne
wird nicht aufgehen, bevor die Welt gewendet ist. Aber warum bist du so
betrübt, liebe Seele? Du hast ja ein Licht im Zimmer, wo du sitzt. Und wenn du
sehr traurig wirst, so nehme das Licht und schaue es an und denke daran, wer es
gemacht, wer es angezündet hat, woraus der Docht ist und wie dieses Licht,
obwohl es nur eine so kleine Flamme ist, den ganzen finsteren Raum beleuchet.
Und erinnere dich immer daran, was der Kerzengießer gesagt hat: “Das geknickte
Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht
auslöschen.” (Jes. 42,3) Wenn dieses Licht erlöschen würde, müßtest du in der
Finsternis sitzen; und erst dann hättest du Ursache zu jammern und zu weinen,
weil die Nacht so lang ist.
Wir hoffen, daß
solange, wie das Licht brennt, jene keine Not haben sollten, die wach sind.
Sicher haben diejenigen es schöner, die auf der anderen Seite der Erde wohnen,
die immer im Sonnenschein wandern, die am Fluß Jordan auf einer grünen Wiese
spazieren und dort die Blumen der Ewigkeit pflücken. Sie löschen ihren Durst an
der Quelle des lebendigen Wassers und essen Weintrauben vom lebendigen
Weinstock.
Wachet also neben
der Kerze und macht eure Lampen fertig, ihr Töchter der Braut! Und wartet, bis
daß die Erde sich umdreht und die Morgendämmerung anbricht. Dann geht die Sonne
der Gnade auf, die nie mehr untergeht, und ihre Lichter werden nie verlöschen.
Dann fangen sie an, den neuen Gesang zu singen: Amen, halleluja, Dank, Ehre und
Lob sei dem einzigen unsterblichen Gott.
Amen.