Visitationspredigt
im Jahre 1854
(19) Daran
erkennen wir, daß wir aus der Wahrheit sind, und können unser Herz vor ihm
damit zum Schweigen bringen, (20) da, wenn uns unser Herz Gott größer ist als
unser Herz und erkennt alle Dinge. (21) Ihr Lieben, wenn uns unser Herz nicht
verdammt, so haben wir Zuversicht zu Gott. 1. Joh. 3,19-21
An dieser Stelle
verkündigt der Apostel Johannes die Prüfungen der Christen, die darum
bemerkenswert sind, weil die Dinge des Herzens für manche trüb sind. Zuerst
sagt er “...wenn uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser
Herz...” Durch diese Worte teilt er
mit, daß das Herz eines Christen ihn dann und wann verdammen kann. Da ein
richtiger Christ schreckliche Versuchungen erlebt, da der Teufel vom Fleisch
aus brennende Pfeile gegen das Herz schießt, fallen ihm üble Gedanken ein, üble
Begierden und Lüste. Die Selbstgerechtigkeit steigt endlich empor wie ein
strenger und gerechter Ankläger der Kinder Gottes und verdammt sie mit diesen
Worten: “Wie kannst du Christ sein, der du so viele Sünden hast? Der Christ
sollte heilig und sündenfrei leben, aber du bist wie der Teufel selbst.”
Da die
Selbstgerechtigkeit so predigt, kommt es dem Christen so vor, als ob sein Herz
ihn verdamme, obwohl es von sich aus sich selbst gar nicht verdammen kann.
Vielmehr ist es der Teufel der Selbstgerechtigkeit, der die Kinder Gottes
verdammt. Und dieser listige Teufel, der unter der Maske der Wahrheit daher
kommt, verwandelt sich zum Engel des Lichts. Dadurch wird mancher Reumütige
betrogen, weil er selbst nicht erraten kann, daß es der Teufel ist, der die
Reumütigen verdammt. Aber jetzt sagt der Apostel Johannes: “... wenn uns unser
Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz....” Und mit diesen Worten zeigt
er uns, daß kein Christ seinem Herzen vertrauen soll, wenn es verdammt. Er soll
vielmehr auf Gottes gnädiges Versprechen vertrauen, das besagt, daß Christus
gekommen ist, um Sünder und nicht Gerechte zu retten. Der Christ muß immer als
Sünder zum großen Kreuzträger fliehen und glauben, daß er durch die Gnade und
nicht durch sein Verdienst selig wird. Wenn der Christ nach seinem Verdienst
verurteilt würde, wäre er ganz verloren. Er wird aber durch die Gnade erlöst -
wenn er fest daran glaubt -, welche größer ist als die Selbstgerechtigkeit, die
durch das eigene Herz die Verdammung predigt. Deshalb sagt auch Luther, daß er
sich mehr vor seinem eigenen Herzen fürchtet als vor dem Kaiser der Türkei,
denn jeder Christ, dessen Gewissen wach ist, fühlt, daß sein Herz arg, übel und
unrein ist, nämlich das fleischliche Herz, das im alten Menschen wohnt; Paulus
nennt ihn den äußeren Menschen. Aber die Seele, d. h. das geistliche Herz, das
Paulus den inwendigen Menschen nennt, wurde im Blut Christi gereinigt, und die
eigentliche Feststellung lautet: der Mensch sollte unterscheiden lernen, damit
der Feind nicht die Wirkungen des äußeren und inwendigen, des alten und des
neuen Menschen in ihrem Wesen mischen kann. Der große Kenner der Herzen mag uns
das Licht des Heiligen Geistes geben, damit wir diese Sache auslegen können.
Höre uns, Vater unser, der Du bist im Himmel!
Paulus sagt:
“Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen; (23) ich
sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz
in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in
meinen Gliedern.” (Röm.7,22-23)
Hier muß Paulus
nach dem Fleisch sündig, aber im Geist heilig sein. Die Vernunft begreift
nicht, warum ein Sünder heilig, der Unreine rein und der Ungerechte gerecht ist.
Wenn wir aber den Glauben besitzen, daß die Sünden vergeben sind, so müssen wir
auch glauben, daß der Sünder heilig, der Unreine rein und der Ungerechte
gerecht ist. Nach dem Fleisch ist der Christ doch sündig, unrein und ungerecht
wie der Teufel, aber durch die Gnade ist er heilig und gerecht, obwohl der
Teufel der Selbstgerechtigkeit predigt: “Du bist weder heilig noch gerecht,
sondern sündig, ungerecht, unrein und unzüchtig.” Da nun die
Selbstgerechtigkeit anklagt und zu richten beginnt, und dieses Urteil im Herzen
gesprochen wird, was dem Christen so erscheint, als ob man ihn richtete, so
sagt Johannes: “Wenn unser Herz verdammt, Gott ist größer als die
Selbstgerechtigkeit”, und wenn die Selbstgerechtigkeit verdammt, so spricht
Gott von der Verdammung los. Gott hat den Reumütigen die Sünden vergeben. Der
Sohn Gottes hat ihre Ungerechtigkeiten bezahlt, die Er vom Garten bis zum Berg
Golgatha trug, und durch sich selbst in das Grab senkte. Darum hat Er sie
heilig und gerecht gemacht.
Glaubt nun, ihr
Reumütigen, daß ihr durch die Gnade Gottes heilig und gerecht seid. Obwohl die
Selbstgerechtigkeit euch verdammt, ist Gott doch größer als unser Herz. Es ist
aber mühsamer zu verstehen, wenn Johannes sagt: “Wenn unser Herz nicht
verdammt, so haben wir Zuversicht zu Gott.” Dieses Wort ist wahr in sich
selbst, wenn wir es verstehen. Aber Gottlose und Gnadendiebe haben von diesem
Wort eine falsche Auffassung und verteidigen sich damit. Da nämlich das Herz
eines Gnadendiebes diesen nicht verdammt, so mag er auch meinen, daß er
zuversichtlich zu Gott aufschauen kann. Aber seine Zuversicht ist ein falsches
Vertrauen in die Gnade Gottes. Die Selbstgerechtigkeit klagt ihn keinesfalls
an, denn wenn diese anfinge, den Gnadendieb anzuklagen, daß er unzüchtig und
unrein ist, wahrlich, er würde so eine Angst bekommen, daß er, so wie er ist,
in die Hölle gehen müßte. Da jedoch sein Herz ihn nicht verdammt, so ist er
ausgesprochen zuversichtlich, daß auch Gott ihn nicht verdammt. Er sagt deshalb
oft: “Gott verdammt mich weder wegen dieser noch wegen jener Sünde.” Woher weiß
der Gnadendieb, welches die wirklichen Sünden sind? Er hat ein so schlechtes
Gedächtnis, daß er sich nicht von Morgen bis Abend erinnert, was für Sünden er
begangen hat. Der Gnadendieb erinnert sich auch nicht an die absichtlichen
Sünden. Aber das Zeugnis des Johannes gilt den Christen, damit ihr Herz sie
nicht immer verdammt. Wenn sie den Frieden in Gott und ein reines Gewissen
haben, dann haben sie wahrlich die Zuversicht zu Gott.
Wir haben die
Zeugnisse des Johannes vom Verdammen des Herzens so verstanden, daß es die
Selbstgerechtigkeit ist, die Reumütige und Glaubende verdammt. Sie ist ein
strenger Ankläger der Kinder Gottes bei Tag und bei Nacht. Aber Gott ist größer
als die Selbstgerechtigkeit. Paulus bezeugt auch, daß wir einen Fürsprecher
beim Vater haben. Wenn der listige Ankläger anfängt, Tag und Nacht die Kinder
Gottes zu beschuldigen, so müssen sie zum großen Kreuzträger fliehen, der das
Kreuz aller Reumütigen, Betrübten und Niedergeschlagenen auf sich genommen und
der versprochen hat, vor dem großen Gericht für die Kinder Gottes einzutreten.
Der Ankläger ist jedoch streng bezüglich seines Rechtes. Er sagt zum Richter:
“Diese Scheinheiligen, die sich als Christen betrachten, sind Ehebrecher und Diebe.
Sie sind Mörder. Wie kann der Richter solche verteidigen?” Dann tritt aber der
Vertreter der reumütigen Sünder vor und sagt zum Richter, der der richtige
Vater der Reumütigen und Glaubenden ist: “Ich bin der Fürsprecher, ich bezahle
die Geldstrafe im Namen dieser Armseligen. Ich habe Blut für sie geschwitzt;
ich habe einen vollen Einlösungspreis für sie bezahlt.” Und er entblößt seine
Wunden und sagt: “Sieh, lieber Vater, diese Wunden trage ich wegen meiner Liebe
zu diesen Armen, und dieser Ankläger hat mir diese Wunden verursacht.” Dann
schmilzt der Vater vor Liebe, und Er sagt dem Fürsprecher: “Du bist mein lieber
Sohn; heute habe ich dich gezeugt.” (Ps 2,7). “Ich gebe dir die Heiden als
Erbe, und du sollst sie mit dem eisernen Stabe weiden (Offb. 2,27).” Und dann
sagt Er zum Ankläger: “Hebe dich weg von mir Satan, du hast mich dazu
getrieben, ohne Ursache zu vernichten! Du hast den unschuldigen Sohn Gottes
geplagt und zum Tode geführt.” Er hat nun die Knechte des Todes erlöst, die bis
dahin in der Finsternis und im Schatten des Todes saßen, da die Morgendämmerung
begann, diese finstere Welt von oben zu beleuchten. Für diese Menschen hat
Jesus, der große Fürsprecher der Reumütigen und Glaubenden, den vollständigen
Erlösungspreis bezahlt. Der Satan hat keine Macht mehr, jene zu verdammen, die
glauben, daß Jesus für sie das Gesetz erfüllt hat, da Er, hängend und mit
eisernen Nägeln gehalten, am Tage des Sieges ausrief: “Es ist vollbracht! (Joh.
19,30)
Seid nun
getröstet, ihr teuer erlösten Seelen, denn der Ankläger der Kinder Gottes wurde
auf die Erde geworfen. Er hat keine Macht mehr über jene, die den großen
Kreuzträger, den dorngekrönten König, als Fürsprecher beim Vater haben,
denjenigen, der gesiegt hat. Und Johannes hörte eine groe Stimme vom Himmel sagen:
“Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die
Macht seines Christus, weil der Verkläger unserer Brüder verworfen ist, der sie
verklagte Tag und Nacht vor Gott. Und sie haben ihn überwunden durch des Lammes
Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben nicht geliebt bis
an den Tod. Darum freut euch, ihr Himmel und die darin wohnen! Weh denen, die
auf Erden wohnen und auf dem Meer! Denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat
einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.” (Offb. 12,10-12) Seid also fröhlich und getröstet,
ihr teuer erlösten Seelen, denn es wird euch im Himmel belohnt werden! Freut
euch, ihr Auserwählten, denn euer Verkläger ist aus dem Himmel hinausgetrieben!
Er hat keine Macht mehr, euch vor Gott zu verklagen. Ihr habt beim Vater einen
Fürsprecher, der für euch eintritt und betet. Seid froh und getröstet, alle
Kinder Gottes, und ruft laut, daß ihr durch das Blut Christi und durch das
Zeugnis seines Wortes gesiegt habt. Und wenn ihr in eurem teuersten Glauben bis
zum Tode kämpft, so kommt ihr auch dahin, wo die Engel und alle teuer erlösten
Seelen zusammen singen. Ihr könnt bald den neuen Gesang auf dem Berge Zion
singen und sagen: “Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes
geworden und die Macht seines Christus, weil der Verkläger unserer Brüder
verworfen ist, der sie verklagte Tag und Nacht vor Gott. Und sie haben ihn
überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses.” (Offb.
12,10-11).
Amen.