Predigt im Jahre
1849
Evangeliumteil
(28) Denn wer ist
unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und
überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen? (29) damit nicht,
wenn er den Grund gelegt hat und kann es nicht ausführen, alle, die es sehen,
anfangen, über ihn zu spotten, (30) und sagen: ‘Dieser Mensch hat angefangen zu
bauen und kann es nicht ausführen.’ Lukas 14, 28-30
Wir untersuchen
die gelesenen Worte vom Turmbau aus dem Evangelium des Lukas. Wir fangen damit
an, indem wir uns ansehen, was der Apostel Paulus von den Baumeistern im 1.
Korintherbrief 3,12 schreibt. Wir sitzen da und überschlagen die Kosten, und
überlegen, welche Dinge wir für ein richtiges christliches Leben brauchen,
damit es uns nicht so geht wie den Kindern dieser Welt: diese bauen den Turm
ihres Christentums aus Heu und Stroh - daß heißt aus natürlicher Sittlichkeit
und totem Glauben - und legen noch Spreu dazu. Daß mancher, der mit großer
Andacht begann, den Turm des Christentums zu errichten, das Bauen abgebrochen
hat, liegt sicher daran, daß er sich nicht niedersetzte und die Kosten
überschlug und dabei unberücksichtigt ließ, daß diese ersten kräftigen
Rührungen nicht beständig sind. Wenn der Mensch nicht von Anfang an daran
denkt, daß diese kräftigen Rührungen und der erste Eifer nach einiger Zeit zu
Ende gehen, dann kommt zu den müden Wanderern die geistliche Armut. Der geheime
Zweifel schleicht sich ein, daß sie nicht auf dem richtigen Weg sein dürften,
weil ihr Herz kalt und lau wird. Wenn die erste Andacht zu Ende ist, fangen
einige an zu zweifeln. Sie beginnen zu fürchten, daß ihr Christentum aufhört;
und einige gehen zurück in die Welt und sprechen nicht mehr von ihrem
Christentum, als ob sie die erste Andacht ganz vergessen hätten. Dagegen gehen andere, die sich zu
Beginn der Reue die Gnade stahlen, zurück in die Sorglosigkeit und tun so, als
ob sie nicht mehr wüßten, daß sie sich einmal auf gutem Grund bewegten. Sie
begannen, Holz, Heu und Stroh zu sammeln und bauten ihr Christentum aus
Stoffen, die zwar sehr billig sind, aber auch sofort im Feuer der Prüfung
verbrennen.
Der Feind zürnt
denen, die anfangen, den Turm des christlichen Glaubens aus Gold, Silber und
Edelsteinen zu bauen. Aber wenn diese teuren Baumaterialien verbraucht sind,
und der Baumeister nicht mehr weiß, woher er Nachschub bekommen soll, kann der
Feind spotten und sagen: “Dieser Mensch begann zu bauen und kann es nicht
beenden.” Aber die Ursache liegt darin, daß der Turmbauer sich nicht zuvor
hinsetzte und die Kosten überschlug. Er vermutete sicher, daß er immer genug
Gold mit seinem (hölzernen) Messer schneiden könne. Er dachte nicht darüber
nach, mit welch großer Mühe Gold, Silber und Edelsteine vom Berg gebrochen
werden müssen. Da also die Baumaterialien zu Ende gehen, da die erste Andacht
vorbei ist, da beginnen einige zu zweifeln und denken, daß alles verloren sei.
Einige gehen in die Welt zurück und wollen kein Baumaterial mehr holen. Andere
nehmen Heu und Stroh und bauen daraus einen Turm. Dieser Leichtsinn kommt aber
daher, daß die Baumeister sich zu Beginn nicht hinsetzten und die Kosten
überschlugen. Sie haben nicht verstanden nachzurechen, wieviel Material sie
brauchen und mit welch großer Mühe sie Gold, Silber und Edelsteine brechen
müssen, bevor der Turm so hoch wird, daß er in den Himmel reicht. Man sieht
überall, daß, wenn die erste Andacht zu Ende geht, wenn das Herz kalt und lau
wird, der Mensch ganz arm wird und sich vorstellt, längst außerhalb [] der
Seligkeit zu sein.
Es ist aber kein
schlechtes Zeichen, daß der Mensch ein bißchen an seinem Zustand zweifelt -
wenn er geistlich arm wird. Denn derjenige, der zweifelt, muß wenigstens
irgendetwas versuchen. Der Heilige Geist leitet ihn so in seiner Schule, daß er
irgendwann so arm wird, daß er nichts hat. Er soll nicht damit beginnen, seine
Seligkeit auf starken Rührungen aufzubauen; auch nicht auf seinen Tränen, auf
den Gefühlen des Herzens, auf seiner Reue oder auf seiner Besserung: obwohl
diese starken Rührungen für die Stärkung der Seele und für die Entwicklung des
christlichen Glaubens an sich gut und notwendig sind. Sie sind jedoch keine
Grundlage für die Seligkeit. Der Apostel Paulus spricht davon, wenn er sagt:
“Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist
Jesus Christus.” (1. Kor. 3,11) Deshalb hält es auch der Heilige Geist für
nötig, daß der Mensch so arm und leer wird, daß er nichts hat: keine Andacht,
keine Reue, kein Seufzen, keine Tränen, keinen Glauben und auch keine Kraft zum
Beten. Als der Mensch anfing, den Turm des christlichen Glaubens zu bauen,
konnte er sich gar nicht vorstellen, daß es einmal einen solchen Zustand der
Seele geben könne, denn im Bauen des Turms des christlichen Glaubens ist der
Mensch so unbeständig und leichtsinnig, daß er nicht damit zufrieden sein will,
was der Heilige Geist ihm zu seinem Besten zuteilt. Wenn er sich in großer
Sorge befindet, so will er sie bald los werden; wenn er Freude hat, so will er
in ihr ewig leben. Da er weder Freude noch Sorge hat, sehnt er sich nach beidem.
Dies zeigt, daß der Mensch seine Seligkeit auf einem Grund bauen will, der
keine Grundlage für die Seligkeit abgibt. Wenn jetzt die Freude, der Glaube und
die Gebete zu Ende gehen, so denkt mancher: “Jetzt ist alles verloren. Der
Heiland kümmert sich nicht mehr um mich; ich habe alles verloren.” Woher weißt
du, daß sich der Heiland nicht für dich interessiert, so leer wie du jetzt
bist? Wenn du arm geworden bist, gerade dann nimmt der Heiland dich eher an.
Aber räum nicht der Selbstgerechtigkeit so viel Platz ein, da sie dich vom
Schoß des Heilands fortdrängt. Denn es ist die Selbstgerechtigkeit, die solche
Gedanken hervorbringt, daß der Heiland sich nicht um diejenigen kümmert, die
geistlich arm sind. Es ist die Selbstgerechtigkeit, die nicht arm zum Heiland
kommen will. Sie muß immer ein Geschenk in der Hand haben, das sie ihm reicht,
bevor sie es wagt, vor seine Augen zu treten. Er ist so geübt mit den Herren
der Welt, wo nichts ohne Verdienst geschieht. Wenn er dem Richter oder dem
Herrn dieser Welt etwas zu sagen hat, so muß er ein Geschenk, das heißt die
Ehre, in der Hand haben. Und so will er auch mit dem Heiland umgehen. Es muß
ein Geschenk in der Hand sein, bevor er vermag, vor seine Augen zu treten. Der
Heiland hat jenen gesagt, denen die Baumaterialien des neuen Jerusalems zu Ende
gingen: “Kaufe Gold von mir, daß du reich werdest!” (Offb. 3,18) Wir sagen
offen, daß es nicht das schlimmste Zeichen ist, wenn einer zu zweifeln anfängt,
der so arm geworden ist, so daß er kein Material mehr zum Bau seines
christlichen Lebens hat. Er muß nach den früheren Materialien, das heit
Kennzeichen des Christentums immer suchen und weitersuchen.
Es ist aber
schlimmer, wenn irgendein Baumeister des Christentums anfängt, Holz, Heu und
Stroh als Ersatz zu nehmen, wenn Gold und Edelsteine ausgehen. So machen es
jene, die erst einmal anfangen, in großer Andacht den Turm ihres Christentums
zu bauen. Wenn ihre erste Andacht zu Ende geht und das Herz kalt und lau wird,
beginnen sie sich als vornehm zu betrachten. Sie fühlen in ihrem Gewissen, daß
sie immer vorwärts schreiten, obwohl sie sich rückwärts bewegen. Ein rechter
Christ fühlt dagegen immer, wenn die erste Andacht zu Ende ist, daß er sich in
einer großen Armut befindet. Deshalb fürchtet er, daß er rückwärts schreitet.
Er fühlt in seinem Gewissen, daß er alles verloren hat, daß der Feind seine
Seele nimmt, und daß die frühere Andacht nicht zurückkehrt. Jener jedoch, der
die Gnade nach der ersten Erweckung stahl, tadelt gar nicht den Zustand seiner
Seele, und er hat auch keine Angst dvor, daß er gerade rückwärts geht, sondern
er fühlt - und sagt es auch - daß er gerade vorwärts geht, obwohl alle äußeren
Anzeichen drauf hinweisen, daß er sich rückwärts bewegt. Das erste Kennzeichen
ist, daß er stumm wird. Er vermahnt niemanden und hat eigentlich nichts über
das Christentum zu sagen. Das zweite Kennzeichen besteht darin, daß der alte
Adam zu widerstehen beginnt, wenn er den Zustand seiner Seele ein bißchen
prüfen würde. Es ist kein gutes Zeichen, wenn der alte Adam aufsteigt, während
andere Christen ihr Herz prüfen. Solch einem Menschen wird auch die Welt lieb.
Dies bedeutet, daß er gern von der Welt spricht, aber selten vom Christentum.
Solche Baumeister des Christentums sind jene, die im Geist beginnen und im
Fleisch enden.
Seht nun, liebe
Feunde, wie die Welt sich wendet! Wenn ihr angefangen habt, den Turm zu bauen,
durch den ihr in den Himmel kommt, wenn die Flut der Sünde anfängt zuzunehmen,
und ihr nicht die Kosten überschlagen und überlegt habt, woher ihr Gold, Silber
und Edelsteine bekommten sollt, wenn diese teuren Baumaterialien verbraucht
sind, so mag es euch passieren wie den ehemaligen Turmbaumeistern, denen Gott
die Sprachen verwirrte. Dann bleibt dieses große Gebäude unvollendet, und
jedermann, der es sieht, fängt an zu spotten und sagt: “Dieser Mensch begann zu
bauen und kann es nicht fertigstellen, als die erste Andacht zu Ende ging”. Es
ist schon längst bewiesen worden, daß jene Seele, die nach dem Himmel strebt,
irgendwann arm wird. Aber wenn der Mensch selbst anfängt, sich mit diesem
Zustand zu begnügen und als vollkommen ansieht, dann hat der Feind ihn
vollkommen gemacht, und er plagt ihn nicht mehr mit so großen Versuchungen.
Sicher hat jener Mensch dann Frieden vor den Pfeilen des Feindes, der seiner
eigenen Meinung nach ebenfalls vollkommmen ist. Denn der Teufel ist
selbstverständlich von seiner eigenen Vollkommenheit überzeugt. Er will nicht
mehr bekennen, daß er der böse Teufel ist. Aber den Menschen, der kein Freund
des Feindes ist, plagt er Tag und Nacht; manchmal hebt er ihn auf die Zinne des
Tempels des Stolzes und manchmal auf den hohen Berg des Verlangens nach Ehre,
wo der Teufel ihm die ganze Welt zeigt.
Wir sehen am
Beispiel der Versuchungen des Heilands, daß der Feind zuerst mit der Sorge des
Bauches beginnt. Wenn er an dieser Stelle nicht siegt, so bringt er den
Menschen auf die Zinne des Tempels und treibt ihn dazu, seine Kraft zu zeigen.
Er verführt ihn mit der Vorstellung, daß der Stolz gestattet sei und sucht
hierzu noch eine Stütze in der Bibel, um die Menschen zum Hochmut zu verführen.
Zuletzt zeigt er dem Menschen die Ehre der Welt und verspricht ihm die ganze
Welt, wenn der Mensch dem Fürsten der Welt dient. Von diesen Versuchungen haben
alle Christen ihren Teil abbekommen, weil der Teufel umhergeht wie ein
brüllender Löwe und danach sucht, welchen er verschlinge (1. Petr. 5,8). Wie
sollten wir uns da im Wachen, Beten und in der Wanderung des Lebens verhalten?
Wir müssen mit aller geistlichen Waffenrüstung ausgerüstet sein, damit wir
sämtlichen feurigen Pfeilen des Bösen widerstehen können, denn der Feind zürnt
all jenen, die an Jesus glauben. Jetzt will er die Seelen der Jünger zu Mehl
machen. Jetzt bringt er dies und das in ihre Sinne, damit er sie zum Einnicken
bringen kann, und sie durch dieses Einnicken Jesus ableugnen. Wenn die wenigen
Seelen, die durch die Gnade Gottes vom Schlaf der Sünde erweckt worden sind,
erneut einzunicken beginnen, so kann der Feind sich wieder über den Fall der
Christen freuen und sagen: “Dieser Mensch fing an zu bauen und kann es nicht
fertigbringen.” Meine Lieben! Die Augen des Teufels bewachen euch und wollen
eure Gewissen zerreißen. Wenn ein Lamm müde auf dem Wege wird und in der
Wildnis der Welt irre geht, so ist der Wolf sofort bereit, dieses verirrte Lamm
zu zerreißen. Wenn das Schaf auf dem Wege [stehen] bleibt, so ist der Wolf
bereit, es zu schlucken. Wenn eine Meise aus dem Nest heraus fliegt, so ist der
Wolf bereit, sie zu erhaschen. So müssen wir mit Furcht und Beben unter diesen
Feinden leben, damit der Feind sich nicht über unseren Fall freuen und sagen
kann: “Schau, so sind die Christen!” Wenn der Feind auch unseren Leib zerrisse,
um so weniger darf er Schaden für unsere teuer erlösten Seelen durch Einnicken,
Faulheit, Unwachsamkeit, Nachlässigkeit und durch die Liebe zur Welt
verursachen.
Wir beten zum
großen Kreuzträger und den mit Dornen gekrönten König, daß er uns Kraft und
Geduld gebe, um eine kurze Zeit noch sein Kreuz zu tragen und seinen blutigen
Schritten nachzufolgen, seine Füße zu küssen, seine Wunden mit den Tränen der
Reue und Liebe zu feuchten, mit stetigem Gebet an der Tür des Himmels zu
klopfen und so tief zu seufzen, daß das Seufzen von der Tiefe zum Himmel geht.
Wir haben die Hoffnung und das Vertrauen zu Gott, daß Er die Gebete aller
Bedrängten, Verzagten und Bedrückten hört, daß er sie vor dem listigen
Versucher bewahre, damit dieser die Armen nicht in die Tiefe der Hölle und in
die ewige Finsternis stürzen kann, sondern daß der gnädige Herr Jesus die
wankenden Knie und die müden Hände stärkt, damit sie Kraft haben, weiter zu
kämpfen und das Kreuz bis dahin zu tragen, wo die Augen geschlossen werden, wie
er es jenen versprochen hat, die zu ihm schreien.
Amen.