Am ersten Bettag

 

Abendpredigt im Jahre 1855

 

Darum legt ab alle Unsauberkeit und alle Bosheit und nehmt das Wort an mit Sanftmut, das in euch gapflanzt ist und Kaft hat, eure Seelen selig zu machen. Jak. 1,21

 

 

Der edle Apostel Jakobus schreibt an die Christen diese Warnungen, die sehr nötig sind, wenn die Christen darauf nur achteten. Obwohl die Predigt des Jakobus über den toten Glauben sich nicht gegen die Lehre des Paulus richtet, weil der eine den Glauben und der andere auch Werke verlangt, so ist es doch notwendig darauf hinzuweisen, daß wir wachen und durch die Gnade Gottes gegen die Versuchungen kämpfen sollen.

Wir haben gehört, daß Luther einmal am christlichen Glauben des Jakobus zweifelte, weil er so viele Werke verlangt. Luther meinte manchmal, daß Jakobus einen solchen Brief nicht an die Christen geschrieben haben könne. Aber in der Zeit, als diese Briefe geschrieben wurden, hat niemand dargelegt, daß die Epistel des Jakobus falsch wäre - oder daß andere sie im Namen des Jakobus geschrieben hätten. Und kein Christ hat damals am christlichen Glauben des Jakobus gezweifelt. Aber allein die Stelle, wo Jakobus sich gegen die Lehre des Paulus wendet, in der er  sagt: “Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden....?” (Jak. 2,21), ließ Luther daran zweifeln, ob Jakobus einen solchen Brief verfaßt haben könne. Aber wir sehen, daß Jakobus härter darin war, das Gesetz zu predigen und ein heiliges Leben zu verlangen, denn er bemerkte, daß der tote Glaube anfing, in der Gemeinde hervorzutreten. Dies war an den Früchten der Christen zu erkennen; solche Früchte sind die Liebe zur Welt, Leichtsinnigkeit, der scharfe Unterschied zwischen den armen und reichen Christen, geistliche Faulheit - darin, vom christlichen Glauben zu sprechen - das Prahlen, wo die Hurerei versteckt ist. Jakobus nennt all diese Früchte des toten Glaubens in seiner Epistel, und er will durch das Beispiel von Abraham zeigen, daß er nicht nur durch den Glauben gerecht wurde, sondern durch die Werke. Dagegen schreibt Paulus, daß Abraham durch den Glauben und nicht durch die Werke gerecht wurde.

Ich meine, daß Jakobus keine andere Gnadenordnung als Paulus verkündigte, wenn man nur die Gründe bei beiden untersucht. Jakobus schrieb nämlich vom toten und Paulus vom lebendigen Glauben. Jakobus hat die Früchte des toten Glaubens aufgezählt, aber Paulus wies die des lebendigen Glaubens vor. Jakobus vertrat nicht die Ansicht, daß die guten Werke ohne den Glauben den Menschen vor Gott rechtfertigen; er hat jedoch gesagt, daß der Glaube ohne Werke tot ist (Jak. 2,20). Und diese Ordnung kann weder Luther noch ein anderer Lehrer ändern. Luther sagt gemäß der Lehre des Paulus, daß den Menschen der Glauben ohne Werke rechtfertigt. Dies stimmt mit den Erfahrungen der Christen überein. Die Sünden des Menschen werden nicht auf Grund seiner guten Taten vergeben, sondern durch die Gnade und durch das Verdienst Christi. Diese Gnade nimmt er im lebendigen Glauben entgegen. Aber da Luther sagt, daß die guten Werke aus dem Glauben kommen sollen (Siehe “Augsburger Konfession”, Kap. 20), so ist auch diese Lehre richtig, da der Gottlose nicht gute Werke tun kann, auch wenn er ein erwecktes Gewissen hätte. Weder die Lehre des Jakobus noch die des Paulus stehen dieser Lehre Luthers entgegen. Wenn die Papisten die Gnadenordnung mit dem Wort verfälschen, indem sie sagen, daß der Mensch durch den Glauben und die Werke gerecht wird, so handelt es sich hier um eine falsche Lehre und Ordnung. Diese Verwirrung in der Gnadenordnung beruht darauf, daß die Papisten die Worte des Jakobus über die Gnadenordnung mißverstehen. Der Glaube der Papisten geht dahin, daß der Mensch nicht allein durch die mit dem Glauben angeeigneten Tat Christi gerechtfertigt wird. Sie fordern vielmehr, daß der Mensch einen eigenen Beitrag zu seiner Rechtfertigung leisten soll. Diese Lehre widerspricht völlig den Erfahrungen der Christen. Wenn nun Paulus mehr vom Glauben predigt, und Jakobus auch Werke verlangt, so sollten beide verknüpft werden. Es sollte kein Widerspruch zwischen Jakobus und Paulus herrschen, obwohl der eine allein vom Glauben spricht und der andere auch Früchte des lebendigen Glaubens verlangt. Sicher sagt so mancher, auf Grund seines Unverstandes, daß Paulus und Jakobus unterschiedliche Gnadenordnungen vertreten, aber wenn man den Sinn der jeweiligen Aussagen richtig versteht, so heißt dies, daß man durch die Lehre des Jakobus nicht scheinheilig werden soll, indem man die Seligkeit auf die guten Werke baut; durch die Lehre des Paulus sollte man kein Gnadendieb werden, solange Jakobus gegen den toten Glauben predigt. Aber durch die Lehre des Paulus sind Gnadendiebe entstanden, da die Gewissen der Christen eingeschlafen sind; und durch die Lehre des Jakobus sind Scheinheilige entstanden. Da das Wachen der Christen aufgehört hat, ist der tote Glaube im Kopf der Jünger des Paulus geblieben. Und es befinden sich nun beide nicht nur im Reiche des Papstes, sondern auch bei den Anhängern Luthers. Es ist aber nicht die Schuld von Paulus oder von Luther, sondern die der Christen, die nicht besser gewacht haben und besser auf die Lehre der beiden achtgegeben haben. Wenn Johannes mehr  von der Liebe und Petrus mehr vom Wachen predigt, so vertritt Johannes deshalb keine andere Lehre als Petrus. Es ist die eigene Schuld eines Christen. Die Predigt des Jakobus über die Werke, die Predigt des Johannes über die Liebe und die Predigt des Paulus über das Wachen sind alle nötig, und es sollte kein Streit darüber entstehen, wenn die Christen nicht anfingen, untereinander zu zanken, wer der beste Lehrer ist, wie es die Korinther taten, als sie sagten: “Ich bin paulisch, ich bin apollisch, ich bin kephisch, ich bin christisch” (1 Kor. 1,12). Wenn sie erst einmal damit anfangen, über die Lehrer zu streiten, so kann der Erzfeind die Gemeinde bald zersplittern. Aus diesem Streiten entstehen dann überflüssiger Eifer und Uneinigkeit, die das Christentum seit der Zeit durchziehen, als die Jünger auf dem Weg zum Garten stritten. Wenn diese Elenden stattdessen daran gedacht hätten, was für eine große Qual auf den Heiland [Urtext: Elter] im Garten wartete, so hätten sie nicht gestritten sondern nachgedacht, wie nun das Herz des Vaters [Urtext: Elters] ihretwegen blutet. Sie hätten sich auch daran erinnert, was Josef seinen Brüdern sagte, als sie zum Vater zurückkehrten: “Zanket nicht auf dem Wege!” (1. Mose 45,24) Höre, du lieber Vater, das Seufzen der betrübten Jünger! Vater unser, der du bist im Himmel....

 

Der Text der Abendpredigt steht in der Epistel des Jakobus 1,22 und lautet wie folgt: “Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein, wodurch ihr euch selbst betrüget.”

 

Da Jakobus ein harter Mann war, der auch den Christen das Gesetz predigte, so müssen wir unter Anleitung des heiligen Textes über diese Worte des Jakobus nachdenken, wie der Mensch, der nur Hörer, aber nicht Täter des Wortes ist, betrügen wird. Der Hörer kann ein jeder sein, der kommt, um zu hören, um etwas zu bekommen, worauf er bauen kann. Diejenigen, die nur um zu verhöhnen kommen, sind nie die richtigen Hörer; und auch nicht die Pharisäer, die darüber wachen, ob sie nicht wegen irgendeines Wortes den Prediger vor Gericht bringen können. Solche Menschen sind nicht Hörer des Wortes, sondern Missionare des Feindes. Diejenigen, die etwas Komisches erleben wollen, sind auch keine richtigen Hörer des Wortes. Aber die richtigen Hörer sind die, die wegen [] ihrer Seelen hören und lernen wollen, wie der Mensch das ewige Leben bekommen kann. Sie verfügen über irgendeinen Gedanken oder irgendeinen Hinweis des Gewissens, der sie zum Hören führt, um den Weg zum Himmel zu finden. Aber nun sagt Jakobus: “Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allen, wodurch ihr euch selbst betrüget.” Mancher hört oft und viel das Gotteswort, aber er wird nicht klüger. Paulus sagt von denen, daß sie “immerdar lernen und nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen” (2. Tim. 3,7). Mancher wird betrügen, wenn er zur Kirche, zur Schule und zum Bethaus geht und doch weder zur richtigen Erkenntnis noch zur wahren Reue kommt, wie stark der Geist Gottes ihn auch zöge. Durch die Glaubenspredigt des Paulus kommt er nicht zum Glauben, durch die Predigt des Johannes kann er keine Liebe fühlen, und durch die Predigt des Petrus lernt er nicht das richtige Wachen. Was hilft es ihm, wenn er ein andächtiger Hörer des Wortes ist? Er hört Paulus zu, der über den Glauben predigt; er hört Jakobus zu, der von den guten Werken predigt und von dem Christen Früchte verlangt; er hört Johannes zu, der über die Liebe predigt; er hört Petrus zu, der vom Wachen spricht. Aber so ein Hörer des Wortes kommt nie weiter. Er kommt durch die Predigt des Paulus nicht zum Glauben, durch die Predigt des Jakobus nicht zum Werk, durch die Predigt des Johannes nicht zur Liebe und durch die Predigt des Petrus nicht zum Wachen. Er wirbelt zwischen zwei Welten, bis der Tod ihn erreicht. Jakobus sagt nun zu diesen Menschen: “Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein, wodurch ihr euch selbst betrüget!”

Wenn Paulus den Betrübten, Bereuenden und Zweifelnden vom Glauben predigt, so stiehlt der Diener zweier Herren ein bißchen Gnade, aber nie so viel, daß sein Herz brennend und gebrochen wird. In diesem Augenblick kann er seinen Glauben bekennen, aber nach einiger Zeit muß er sagen: “Ich habe keinen Glauben.” Und wie geschieht das? Wenn Jakobus vom Christen Werke und Früchte verlangt, so wird die Liebe zur Welt bemerkbar. Wenn Johannes von der Liebe spricht, so liebt er mit den Worten und mit der Zunge, aber nicht mit der Tat und der Wahrheit (1. Joh. 3,18). Er umarmt Christen, aber wenn sie in Not sind und irgendwelche Hilfe benötigen, so sagt der Diener zweier Herren: “Ich kann es nicht leisten.” Wenn Petrus vom Wachen predigt, so entschließt er sich, daß er zu wachen anfängt. Aber er erinnert sich nicht lange an dieses Versprechen. Wenn nun so ein Hörer des Wortes auch Täter des Wortes wird, so sollte er nach der Lehre des Paulus glauben, nach der Lehre des Jakobus Früchte des Glaubens zeigen, nach der Lehre des Johannes in der Liebe leben und nach der Lehre des Petrus sollte er wachsam sein.

Nun hat Paulus über den Glauben gepredigt, was richtig war, da der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird. Jakobus predigte, daß der Glaube ohne Werke tot ist, was auch richtig war. Johannes predigte über die Liebe, die ebenfalls notwendig ist. Petrus predigte über das Wachen, was auch zutrifft.

Worüber sollte man noch predigen, wenn der christliche Glaube vollkommen sein soll? Ich denke, daß es nicht an den Predigern liegt, daß das Christentum so wankelmütig ist und Rückschritte macht. Es liegt an den Christen selber, daß in ihrem Glauben keine richtigen Werke sind, die Werke keine richtige Liebe haben, und die Liebe kein richtiges Wachen bewirkt. Daher können die Heiden das Christentum behindern und sagen: “Wir haben ja schon gesagt, daß das Christentum zu Ende geht. Das haben wir schon geahnt.” Die Heiden sagen auch: “Die Christen sagen uns nicht mehr so viel [wie vorher]. Wenn sie schon so in der Gnadenzeit predigen, was werden sie dann in der Ewigkeit tun?

Ich möchte nun den Rat geben, daß die Christen zuerst auf die Predigt des Paulus acht geben, der über den Glauben predigt; sie haben ja schon gesehen, daß es ohne Glauben unmöglich ist, vor Gott zu gefallen, denn die Gläubigen werden durch die Gnade ohne ihre Werke gerechtfertigt. Sie sollen aber auch auf die Predigt des Jakobus acht geben und die Wahrheit ins Herz nehmen, daß der Glaube ohne Werke tot ist. Der lebendige Glaube ist tot, wenn der Christ nicht besser als der Diener ist, der seinen Mitknecht wegen einer kleinen Schuld würgte (Matth. 18,28). Die Christen sollen im Herzen behalten, was Petrus vom Wachen schreibt. Und wenn Johannes mehr als die anderen Apostel über die Liebe predigt, so sollen die Christen sich erinnern, daß er der Jünger war, den Jesus liebte. Wir wissen nicht und können nicht verstehen, warum Jesus diesen Jünger so lieb hatte, denn er hat nicht mehr als Petrus für das Gedeihen des christlichen Glaubens gewirkt. Er war aber sehr lieb. Ich habe auch gehört, daß bald alle Christen in den Kleidern von Johannes sein möchten, damit sie nahe zur heiligen Person Jesu Christi kommen, um in seinem Schoß beim großen Abendmahl dabei zu sein und sich gegen ihn lehnen zu können, wenn er das letzte Zeichen der Liebe für Judas gibt. Ich habe auch darüber nachgedacht, daß, so wie David sich glücklich schätzte, weil er der Türhüter im Hause des Herrn sein konnte, so auch jede betrübte, reumütige und zweifelnde Seele sich das Glück wünschen sollte, daß sie zuerst Türhüter im großen Tempel des Herrn sein kann  (Ps. 84,11). Denn wo steht Petrus sonst, der die Schlüssel des Himmelreichs hat, wenn nicht an der Tür. Er hofft, beim großen Abendmahl gegen die Brust Jesu gelehnt und in seinem Schoß wie ein Kindlein sitzen zu können, wenn es möglich wäre. Aber Jesus sagte den zwei Söhnen des Zebedäus, die zu ihm mit dem merkwürdigen Wunsch kamen, daß der eine zur rechten und der andere zur linken Seite von ihm sitzen wolle: “Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?” (Matth. 20,22) Manche fürchten sich gerade vor dieser Stelle; und alle, die entweder zu seiner Rechten oder seiner Linken in seinem Reich sitzen wollen, müssen diesen bitteren Kelch trinken. Wenn aber die Christen nicht auf die Lehre von Paulus, Petrus, Johannes und Jakobus achtgeben, um gemäß dieser Lehre durch die Gnade Gottes zu leben, so können sie nicht einmal Türhüter im Hause des Herrn werden. Sie müssen vielmehr draußen bleiben und rufen: “Herr, tu uns auf!” Er wird aber antworten: “Ich kenne euch nicht.” (Siehe Matth. 25,11-12)

Warum sind zwölf Apostelberufen worden? Sind sie nicht dazu berufen, um den zwölf Stämmen zu predigen, denen einem jeden eine besondere Segnung gemäß ihrer Gaben vom alten Israel gegeben ist?

So haben die Apostel ein jeder laut ihrer persönlichen Gaben gepredigt. Paulus hat über den Glauben, Jakobus über die Früchte des Glaubens, Petrus über das Wachen und Johannes über die Liebe gepredigt. Sie haben doch nicht gegeneinander gepredigt, sondern wie Paulus schreibt: “Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben. So ist nun weder der da pflanzt noch der da begießt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. Der aber pflanzt und der da begießt, die sind einer wie der andere.” (1. Kor. 3,6-8) Paulus erklärt dies auch: “Es kann das Auge nicht sagen zu der Hand: Ich bedarf dein nicht.” (1. Kor. 12,21)

Bauet nun den Tempel des Herrn, damit ihr endlich den großen Sabbat feiern könnt, da der große Tag des Herrn kommt; damit einige von euch dort Türhüter, einige Träger des heiligen Gefäßes, einige Posaunenbläser sein können; damit einige können im Schoß Jesu sitzen und sich gegen ihn im großen Abendmahl lehnen und in neuen Zungen dem getöteten Lamm singen, das mit seinem Blut uns für Gott gekauft hat, jetzt und ewig.

 

Amen.